Sonnenschirme, leere Swimmingpools, karge, antikisierte Ruinen- und Fantasie-landschaften mit bühnenartiger Theatralik - in Michael Kunzes Bilderwelten scheinen die Zusammenhänge rätselhaft und surreal und die Konstruktionen von fraglich bleibender Funktionalität zu sein. Eine altmeisterliche Malweise und Anklänge an große Historien- und Weltpanoramen werden gepaart mit einem in diesem Kontext absurd anmutendem Motivrepertoire in einer der virtuellen „orbits of fantasy“-Spiele entlehnten Ästhetik. Michael Kunze inszeniert auch in seinen jüngsten Arbeiten Begegnungen von scheinbar Nicht-Zusammengehörigem und einer metaphorischen Unschärfe, die eine theoretische Auseinandersetzung mit philosophisch-literarischem Wissen notwendig macht.
Die neuen Arbeiten gliedern sich in zwei Werkgruppen, nämlich in Gemälde mit figurativem Bildpersonal und in Bilder mit vorwiegend architektonischen Fantasielandschaften. Letztere basieren dabei auf der Erzählung Der Fremde (1942) von Albert Camus, in welcher der Protagonist Mersault nach dem Tod seiner Mutter bei einem Streit mit einem Araber diesen erschießt und anschließend zum Tode verurteilt wird. Der Roman, der nahe der Stadt Tipasa bei Algier spielt, ist geprägt von der absurd wirkenden Gleichgültigkeit und Gefühlskälte der Hauptfigur und stellt gemeinsam mit Der Mythos des Sisyphos eines der Hauptwerke Camus‘ Philosophie des Absurden dar.
Die zweite Werkgruppe bezieht sich auf Pier Paolo Pasolinis Film Teorema (1968), in dem Michael Kunze die Figur des Fremden in abgewandelter Form wieder entdeckt. Ein mysteriöser, gut aussehender Gast wird von einer reichen, in Emotionslosigkeit und Monotonie versunkenen Familie aufgenommen. Deren Mitglieder, von den Eltern über die Kinder bis hin zur Haushälterin verfallen alle nach und nach dem jungen Mann und brechen nach dessen Abreise mit ihren bisherigen Gewohnheiten. Der Fremde fungiert hier in einer Art Fortsetzung als ein Befreier aus der Lethargie. Beide Quellen liefern Kunze den Stoff für seine Bildwelten, die mit seiner eigenen Situation, dem Atelier als einer Art „Über-Ort“ metafiktiv verschmelzen.
Hinweise auf diese Referenzen geben nicht nur Michael Kunzes Bilder und deren Titel, sondern auch seine Texte. (Auch im aktuellen Ausstellungskatalog ist ein Beitrag des Künstlers erschienen). Diese tragen zwar zum näheren Verständnis seiner Intention bei, sind jedoch keineswegs als theoretische „Gebrauchsanweisung“ zur malerischen Praxis zu verstehen, sondern als gleichberechtigte künstlerische Äußerung.
Die Verknüpfung verschiedener Ebenen, die Vermischung von Traum und Realität, Bewusstem und Unbewusstem kennzeichnen Michael Kunzes Bilder. Es entstehen palimpsestartige Gemälde, durch deren vielschichtige theoretische Lagen mit literarischen, kunsthistorischen und filmische Referenzen sich der Betrachter „durchschaufeln“ muss und somit zum hermeneutischen Dialog herausgefordert wird. Denn „nicht Malerei als Malerei ist interessant“, bekundet Michael Kunze, „sondern Malerei als Literatur, Literatur als Fotografie, Fotografie als Readymade, Readymade als Film, Film als Architektur, Architektur als Musik etc.“