04.11.2011 - 24.01.2012
Drei Tage dauert die Fahrt von Addis Abeba Richtung Süden. Ziel ist das Omo-Tal in Äthiopien nahe der Grenze zu Kenia und dem Sudan. Eine mühsame Reise über tausend Kilometer. Das Fahrzeug rumpelt über Schotterpisten und wird immer wieder von Vieh aufgehalten, das auf der
Straße entlang trottet. Langsam nähert sich der Fotograf Mario Marino einer anderen Welt.
Gemeinsam mit seinem Fahrer und Übersetzer Alex lässt er das an Plastikmüll erstickende, von westlichen T-Shirts dominierte Afrika hinter sich. Hier findet der Fotograf was er gesucht hat: die kulturellen Wurzeln des Landes. Marino möchte Portraits machen, von Menschen, die es so
wahrscheinlich in einigen Jahren nicht mehr geben wird.
Monate der Recherche gingen dieser Reise voraus. Doch trotzdem ist jetzt alles unbekannt und unwägbar - so bleibt Marino nur übrig, sich von Tag zu Tag auf das Neue und Überraschende ein zu lassen: "Jeden Morgen stand ich auf und alles war offen. Welche Menschen ich treffe und wie
sie reagieren würden, konnte ich nur erahnen."
Seine Motive sucht er in den kommenden zwei Wochen täglich in einem anderen Dorf, bei einem anderen Stamm. Er findet die Menschen auf der Straße und auf Marktplätzen und positioniert sie vor seinem neutralen Hintergrund, um sie aus ihrem sozialen Umfeld zu lösen. Im Nu drängt sich
um das mobile "Studio" eine Menschentraube. Die einzige Lichtquelle ist das strahlende Tageslicht. Mit schnellen Handgriffen kommen einfache fotografische Hilfsmittel zum Einsatz.
Marino portraitiert die Menschen in ihrem alltäglichen Habitus - genauso wie er sie entdeckt. Wenige Momente genügen, um eine bestechende Eindringlichkeit der Porträts zu erreichen. Er nennt seine Arbeiten "fotografische Psychogramme". Mario Marino macht keine Fotoreportage, keine Dokumentation eines fremden Alltags. Was bei ihm entsteht, ist das zeitlose Porträt eines Individuums, ein fotografischer Fingerabdruck, der tief in die Seele des Portraitierten blicken lässt und dabei viel über dessen kulturelle Wurzeln aussagt.
Das Omo-Tal ist fruchtbares Land. Ackerbau und Viehzucht, die Jagd und die Zubereitung der Mahlzeiten prägen die Lebensweise der Stämme. Die Menschen im Süden Äthiopiens bemalen ihre Gesichter und Körper mit weißem Kalk, um zu zeigen, wer sie sind und um ihre
jahrhundertealten Traditionen zu pflegen. Sie zieren sich mit Schmucknarben, Reifen und Ketten um Hals und Oberarme. Aus Tierhörnern, Muscheln und Pflanzen fertigen sie Kopfschmuck, tragen farbenprächtige Tücher aus gewebten Stoffen. Sie besitzen keine Pässe, kennen kein Geburtsdatum, haben weder Spiegel noch Abbilder von sich - ihr Körperschmuck ist das für Außenstehende nicht zu deutende Dokument ihrer Zugehörigkeit.
Die Ethnien der Borena-Oromo, der Erbore, der Karo, der Mursi und Surma, der Hamar und Tsimaw umfassen teils nur noch wenige hundert, teils mehrere zehntausend Menschen. Die Reise in den Süden Äthiopiens konfrontiert den Fotografen mit einem Kosmos, der seit Kurzem ein
steigendes touristisches Interesse erfährt. Im gleichen Zug wandern Einzelne aus der jungen Generation in die Städte ab. Es ist eine traditionelle Welt, die sich verändert und so wohl nicht zu erhalten sein wird.
Die Bilder der Ausstellung Faces of Africa katalogisieren nicht, sie sind keine ethnologischen Studien. Den Fotografen interessieren die Gesichter. Mario Marino, der nach dem Weg sucht, Fotografien wie Malerei wirken zu lassen, provoziert einen neuen haptischen Blick auf die Menschen und ihre vollendete Art, sich durch Kleidung, Schmuck und Bemalung ihrem Gegenüber zu präsentieren.
Die Fotoarbeiten Faces of Africa, die in der Galerie Brockstedt gezeigt werden, sind limitiert und signiert. Die Edition umfasst 10 Abzüge im Format 60 x 43 cm, 7 Abzüge im Format 85 x 60 cm und 5 Abzüge im Format 140 x 110 cm. Für die Archival Pigment Prints wurde Büttenpapier von
Hahnemühle verwendet.
Mario Marino, 1967 geboren in Österreich, lebt in Deutschland und arbeitet als Künstler und freischaffender Fotograf für internationale Magazine. Er beschäftigt sich seit seiner Jugend mit Malerei und war viele Jahre als Kunsthändler tätig. Im Jahr 2000 begann er, selbst Porträts zu fotografieren. Für das aktuelle Projekt Faces of Africa reiste Mario Marino im Frühjahr 2011 nach Äthiopien. Von der Jury des weltweit renommierten Taylor Wessing Photographic Portrait Prize 2011 wurde Marino unter 2500 Fotografen ausgewählt und eingeladen, mit Arbeiten aus
der Serie Faces of Africa an der Gruppenausstellung teilzunehmen, die in der National Portrait Gallery in London von 10. November 2011 bis 12. Februar 2012 zu sehen sein wird.