Karin Lehmann geht für ihre künstlerische Arbeit meist von alltäglichen Materialien aus wie man sie im Baumarkt vorfindet: beispielsweise Gips, Glas, Styropor oder Metall. Durch Experimentieren entdeckt sie unbekannte oder ungewöhnliche Eigenschaften dieser Rohmaterialien, die sie zu eigenständigen Werken weiterentwickelt. Ihr Fokus liegt auf dem Arbeitsprozess, der die endgültige Form der Objekte, Skulpturen und Installationen massgeblich mitbestimmt. Im Laufe einer Ausstellung können sich die Werke in einer Art Zersetzungsprozess weiter verändern wie beispielsweise bei Static Piece (2011): Zunächst hafteten in kompakter Form statisch aufgeladene Styroporkügelchen an einer Wand und weckten den Eindruck einer Raufasertapete. Nach und nach lösten sie sich und hinterliessen Leerstellen an der Wand.
Karin Lehmann will stets selbst Hand anlegen: mit Gussverfahren, Verbrennungen oder Wurfbewegungen wirkt sie auf das Material ein und geht ein Wechselspiel ein zwischen ihrer Beherrschung des Materials und dem Beherrschtwerden durch das Material. Ihr Körper ist gleichermassen in die Arbeiten eingeschrieben: Das Gewicht des Gipsobjekts Handle (2012) entspricht etwa ihrer persönlichen Tragkraft, und an verschiedenen Wandarbeiten lässt sich der Bewegungsradius ihres Körpers ablesen. Als Künstlerin sucht sie weder das Spektakuläre noch das Monumentale oder Erzählerische. Von der Minimal Art inspiriert, doch weniger streng und stattdessen mit einer Prise Humor, interessiert sie sich für das Prozesshafte und für einen Umgang auf 'Augenhöhe' mit dem Ausgangsmaterial. Auf diese Weise erzielt Karin Lehrmann unmittelbare und gleichwohl subtile Transformationen, die eine offene Interpretation zulassen. Mal sind die Betrachter verwundert, mal werden sie in ihrer Wahrnehmung getäuscht - genaues Hinschauen und die Bereitschaft für ungewohnte Sichtweisen sind gefragt.
Im Aargauer Kunsthaus lässt Karin Lehmann einen in Gips getränkten Putzlappen das Treppengeländer hinuntergleiten. Die anspielungsreiche Intervention lenkt das Augenmerk auf den formschönen, aber von Besuchern eher selten benutzten, inneren Handlauf der Helix-Treppe. Im Untergeschoss reflektieren aneinandergereihte Glasplatten die schwarze Bodenfläche und erinnern mit ihren abgespaltenen, verrussten Rändern an eine erstarrte und gleichzeitig fragile, vulkanische Landschaft.