03.10.2010 - 14.11.2010
Veranstaltungsort: Anhaltische Gemäldegalerie - Orangerie
Die kulturelle Barbarei des Nationalsozialismus und die immensen Zerstörungen des Krieges hinterließen nach 1945 in ganz Europa, aber insbesondere in Deutschland einen Zustand der Leere und Perspektivlosigkeit. Ein direktes Anknüpfen an kulturelle Werte der Vorkriegszeit, die das Verderben des Faschismus nicht verhindern konnte, schien unmöglich. Selbst das Vertrauen auf die Fortschrittlichkeit und Formrationalität des Bauhauses war nunmehr fragwürdig. /Das Infragestellen alles Überkommenen mündete zum einen in den Existenzialismus eines Jean Paul Sartre oder Samuel Becket, die das Absurde und Verderbliche der Sinnsuche des Daseins und des Strebens nach Freiheit erkannten. Zum anderen wurde von der Kunstavantgarde gleichsam in einer Flucht nach vorne eine neue elementare Befreiung geprobt. Beide Tendenzen mündeten in eine neue abstrakte Kunst, die sich zumindest im westlichen Europa und Nordamerika bis in die 60er Jahre zu einer „Weltsprache“ entwickeln sollte. /Ein Hauptziel des Informel war die absolute Befreiung der Farbe und der Malmaterialien von dominierender Form und Komposition. Das Kolorit sollte sich nicht mehr gestaltender Rationalität und geometrischer Abstraktion unterordnen oder von vorgefertigten Konzepten eingeschränkt werden. Es sollte vielmehr durch seine Eigendynamik, durch Materialcharakter, durch strukturelle Eigenheiten von Bildträgern und Malwerkzeugen am Schaffensprozess unmittelbar beteiligt sein. Es ging um Spontaneität, Automatismus, Zufälligkeit, die über impulsive Gestik und Dynamik, unüberlegte Schnelligkeit und wilden Aktionismus freigesetzt wurden.Farbe und Malmaterialien, ihre Strukturen, Spuren und Überlagerungen entstehen so um ihrer selbst willen. Sie eröffnen neue, unbekannte Welten mit einem eigenen Spiel von Kräften und Mächten, das ebenso emotionaler Reaktion, wie intellektueller Interpretation offen steht. /Die Ausstellung zeigt an Hand von ca. 140 Gemälden, Graphiken und Künstlerbüchern die Entwicklung und das gesamte Sprektrum der informellen Kunst auf. Der Beginn des Tachismus in Frankreich mit Künstlern wie Jean Dubuffet, Jean Fautrier oder Pierre Soulages ist ebenso nachvollziehbar, wie die spätere deutsche Entwicklung, so z.B. die Gruppe ZEN 49, zu der Fred Thieler, K.R.H. Sonderborg oder Fritz Winter zählten, die von Gerard Hoehme geleitete Gruppe 53 in Düsseldorf oder die Frankfurter Gruppe Quadriga mit K.Ö. Götz und Bernard Schultze.Im Zentrum der Ausstellung steht das Werk von Gerard Hoehme, der aus Greppin bei Bitterfeld stammt und bereits 1952 nach seinem Studium in Halle an der Burg Giebichenstein sich gezwungen sah, wegen seines Eintretens für die informelle Kunst aus der DDR nach Westdeutschland überzusiedeln. Einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung bildet das Werk von dem aus Leipzig stammenden und bereits 1935 nach Paris emigrierten Hans Hartung sowie die Gemälde und Graphiken von Emil Schumacher. Mit diesen beiden Künstlern wird insbesondere der Durchbruch der Informellen Kunst im Jahr 1959 auf der Kasseler documenta II verbunden. Neben den französischen und deutschen Künstlern wird die Ausstellung durch weitere Exponenten, wie z.B. Sam Francis, Giuseppe Santomaso, Antoni Tà pies, Marc Tobey abgerundet, die für die Entwicklung des Informel in Italien, Spanien und in den USA stehen. /Das breite Spektrum der Ausstellung ist in erster Linie dem Hamburger Psychologen Kraft Bretschneider (1920-2000) zu verdanken, der schon in den frühen 50er Jahren als einer der ersten begann, eine Sammlung Informeller Kunst aufzubauen. Seine heute von der Tübinger Stiftung Kunst und Recht betreute Sammlung wurde in großzügiger Weise für die Ausstellung in der Anhaltischen Gemäldegalerie zur Verfügung gestellt und durch einige Werke aus dem Dessauer Bestand ergänzt.