„Eine Wahrheit, die lediglich meine Wahrheit ist, ist somit nicht die Wahrheit.“ Julio Florencio Cortázar
Swinging London, Mitte der 1960er Jahre, Popkultur und cooler Hedonismus. In einer Welt von hektisch-schriller Oberflächlichkeit meint der Modefotograf Thomas, zufällig etwas Unfassbares mit seiner Kamera festgehalten zu haben – einen Mord im Park am hellichten Tag. Jedoch verschwindet erst die Leiche, dann seine vermeintlichen Beweisfotos. Ist das Verbrechen letztendlich nur Ergebnis seiner Einbildung? Seine fotografischen Bilder funktionieren nicht als Beleg für Realität, nur als Indiz. Wie nutzlos ist aber das Wissen des Fotografen, wenn er es nicht mit anderen teilen kann? So erweist sich Michelangelo Antonionis filmisches Meisterwerk als Kriminalfall ohne Beweise, als Puzzle ohne Lösung.
Oft als milieukritischer Popfilm interpretiert, ist „Blow Up“ jedoch weit mehr als ein soziokulturelles Dokument, in dem die Bilder die sich entfaltende Handlung stützen. Er ist eine vielschichtige visuelle Reflexion über die mechanisch abbildenden Medien Fotografie und Film. Hier gibt die Kamera nicht nur die Realität wieder, sondern lässt in ihrer Anwendung selbst eine neue Welt entstehen – subjektiv, nicht allgemein verortbar. Was ist Abbild, was Trugbild? Erst durch seine Perzeption konstituiert sich eigentlich alles Sein. Michelangelo Antonioni entlarvt Realität und Wahrheit als Produkt von Irrtum und Einigung – also einer grandiosen gemeinschaftlichen Illusion und Manipulation. Wir sehen nur das, was wir sehen wollen.
Michelangelo Antonioni hat „Blow Up“ 1966 produziert; sein Befund über die menschliche Wahrnehmung und sein Verhältnis zur Realität jedoch ist auch in der heutigen Welt der Massenmedien und digitalen Distribution von größter Aktualität. Inhaltlich und formal bietet der Film zahlreiche neue Ansatzpunkte und Themen, die in der Ausstellung analysiert und durch unterschiedliche Medien verdeutlicht werden. Erstmals werden in Form von sieben thematischen Schwerpunkten Fotografien, Filme und Videoinstallationen gezeigt, die sich in verschiedener Hinsicht als charakteristisch für Michelangelo Antonionis Film erweisen und darüber hinaus wesentliche künstlerische Positionen der Foto- und Kunstgeschichte verdeutlichen – von Voyeurismus über Sozialreportage und Modefotografie bis hin zu Medienreflexion. Unter den ausgestellten Fotografen finden sich dementsprechend so wesentliche Künstler wie David Bailey, Ron Galella, Terence Donovan, Richard Hamilton, John Hilliard, Hiroshi Sugimoto, Don McCullin, Cecil Beaton, Ian Stephenson, John Stezaker, Arthur Ewans, Alicia Kwade u.v.m.
Auch wird anhand ausgewählter Werke das Verhältnis von bewegtem Film und statischer Fotografie und und deren unterschiedliche Wirkungsweisen dargestellt. Denn Michelangelo Antonioni bricht mit den vertrauten narrativen Mustern des Films, die Handlung von „Blow Up“ scheint sich fragmentarisch zu entwickeln – wie bei einer Dia-Show. So setzt sie sich fast assoziativ zusammen und offenbart die Prinzipien medialer Selbstreflexivität und Gleichzeitigkeit. Zudem verzichtet der Regisseur auf eine eindeutige inhaltliche Gewichtung – ohne klare semantische Verbindung folgt Triviliales unmittelbar Spektakulärem. Insgesamt ist nicht der Plot wichtig, sondern jedes einzelne Detail. In dieser antizipierten Postmodernität muss der Betrachter Bedeutung und Sinnhaftigkeit, also Relevanz, selbst konstruieren.
In „Blow Up“ kommuniziert Michelangelo Antonioni stark über Referenzen, Zitate, Sympole, Bild-Kompositionen und Anspielungen. Zahlreiche Werke der Ausstellung ermöglichen einen pointierten Querschnitt durch unterschiedliche künstlerische Strömungen der 1950er- und 1960er Jahre und dokumentieren die Wechselwirkung von Film und damaliger Kunst und Gesellschaft. Zusätzlich werden auch zeitgenössische Arbeiten präsentiert, die die Zeitlosigkeit und Modernität von Michelangelo Antonionis Bildsprache demonstrieren.