White Cube, Fotografien gerahmt, Ausleuchtung, Bildtitel, Wandtexte – und fertig ist die klassisch-genormte Ausstellung! Wie jedoch gestaltet sich eine Präsentation, wenn der Ort selbst Sujet der ausgestellten Fotografien ist? Wenn der Raum nicht nur Rahmen, sondern zugleich Inhalt und Kunstwerk ist? Speziell für das Amerika Haus hat Bianca Pedrina eine Ausstellung konzipiert und mit den Eigenheiten des Gebäudes experimentiert. Sie holt verborgene Ebenen hervor, rückt versteckte Elemente in den Vordergrung und vergrößert Baudetails zu überdimensionalen Installationen. So erweitert ihre Intervention den realen Raum und fügt sich still, aber eloquent in den Ausstellungssaal ein. Ihre Bilder sind Raummodule – manchmal im leicht zu übersehenden, kleinen Maßstab, manchmal als übergroße Starschnitte ihrer Selbst. Mit dieser spielerischen Doppelung und fotografischen Spiegelung durchbricht sie den gelenkten Besucherblick und eröffnet eine Wahrnehmung jenseits von Oberfläche, einen Blick auf die physische Matrix eines Ausstellungbetriebes.
Der Fokus von Bianca Pedrina liegt nicht auf architektonischen Highlights oder auf einer Kritik an stilistischen Trends. Vielmehr präsentiert sie unspektakuläre Details – blanke Wände, banale Fugen, Bodenfluchten oder herkömmliche Risse im Putz. Gerade in dem oft Übersehenen und der scheinbaren Leere lagern sich jedoch tiefe Spuren menschlichen Lebens ab. Nirgens ist der Mensch so präsent wie in seinen Handlungen und seinem Schaffen. In der architektonischen Aktfotografie von Bianca Pedrina taucht eine erotische Entblößung mit intimen Makeln auf. Statt Statik, Fassade und Baukunst spürt sie das Bindegewebe des Materials auf. In einer Welt, in der Glattheit zu den essentiellen Schönheitsidealen zählt, setzt diese intime Architekturfotografie einen organischen Gegenpool, ohne dass das Auftauchen von realem Leben notwendig ist.
Ihre Motive offenbaren, was Architektur eigentlich verstecken möchte. Sie bilden die Entzauberung der Baukunst ab und das Unvermeidliche, welches sich in lästigen Details abzeichnet. Doch ist keinesfalls die plakative Mode der Street-Art-Fotografie gemeint, zerrissene Plakate auf Häuserwänden oder verblasste Graffitikürzel als vermeintlich coole Motive aufzudecken. Gezeigt wird das Gegenteil von Street-Art oder verherrlichender Architekturfotografie: Nicht das Einzigartige, sondern das Gleiche, oft gekürt mit der enttäuschenden Spur des gewöhnlichen Gebrauchs. Nicht der Persönlichkeit eines Individuums wird nachgegangen, sondern den Spuren, die eine menschliche Individualität verneinen und den durch Menschen verursachten Verschleiß aufzeigen.
Bianca Pedrinas Arbeiten funktionieren wie ein Lexikonartikel, denn sie stellen nichts real dar, sondern verweisen lediglich auf etwas Übergeordnetes. Extended Photography, das Thema der diesjährigen Talents-Reihe, interpretiert sie durch die sachliche Verwendung von Fotografie als Werkzeug zur Ideenvermittlung. Mit der radikalen Verneinung des Individuums sowie subjektiver Gefühlsbilder steht Bianca Pedrina in der Tradition der Konkreten Kunst. Zugleich ist nicht das Einzelbild, sondern seine Bedeutung in der unmittelbaren Umgebung entscheidend. Damit reiht sie sich in die Tradition der Minimal Art ein, bei der nicht die singuläre Arbeit, sondern die Ausstellung an sich das Werk ist.
Bianca Pedrina, geboren 1985, studierte Kunst an der Hochschule der Künste in Bern, wo sie 2009 mit einem Bachelor in Fine Arts abschloss. Von 2010 bis 2011 besuchte sie die Städelschule in Frankfurt unter Prof. Judith Hopf. Anschließend wurde sie vom Schweizer Atelier Mondial zu einer Artist Residency an der Cité des Arts in Paris eingeladen. Seit 2009 organisiert sie Ausstellungen und ist seit 2014 in der Co-Leitung des Basler Projektraums „Schwarzwaldallee". 2015 wurde sie für ihre künstlerische Arbeit mit dem Preis der Cristina Spoerri Stiftung ausgezeichnet. Bianca Pedrina lebt und arbeitet in Wien und Basel.
Larissa Kikol, geboren 1986, studierte Freie Kunst an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und schließt momentan ihre Promotion in Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe ab. Ihre Dissertation handelt vom kindlichen Spiel in der Moderne und der zeitgenössischen Kunst. Sie arbeitet als freie Dozentin an Hochschulen und Universitäten in Karlsruhe und Berlin. Als freie Journalistin und Kunstkritikerin schreibt sie z. B. für art Das Magazin, Die ZEIT, mare Die Zeitschrift der Meere, Cicero oder denieuwe. Larissa Kikol lebt und arbeitet in Berlin.