03.03.2012 - 20.05.2012
"Mich interessiert, was Individuen antreibt, was sie in ihrem Leben anstellen. Ich wäre ein guter Psychiater." Arnold Newman
Das gesamte Leben eines Menschen in einem Augenblick. Das fotografische Porträt als visuelle Biografie. Arnold Newman versteht es meisterhaft, die Zeitläufe in Gesicht und Mienenspiel seines jeweiligen Gegenübers freizulegen. Bewusst bezieht er das persönliche Umfeld, das Werk und Hinweise auf den intellektuellen Hintergrund des Porträtierten in seine Fotografien ein. Sensibel rückt er diese Aspekte sogar so stark in den Vordergrund, dass sie zu Symbolen und Schlüsseln zu den charakteristischen Wesenszügen der jeweiligen Person werden. Häufig in der Kunstrezeption als "Enviromental Portraits" bezeichnet, sind seine Studien von Künstlern, Kreativen, Wissenschaftlern, Intellektuellen, Sportlern und Staatsmännern formal und inhaltlich perfekt ausbalancierte Kompositionen. Seine Fotografien von starker, metaphorischer Qualität bilden einen Querschnitt der Kulturschaffenden des 20. Jahrhunderts.
Pablo Picasso, Marilyn Monroe, Marc Chagall, Igor Strawinsky, Max Ernst, Piet Mondrian, Marcel Duchamp, Konrad Adenauer, John F. Kennedy, Andy Warhol, David Hockney, Martha Graham - obwohl Arnold Newman zumeist weltbekannte Personen in seiner einfühlsamen Bildsprache porträtiert, lehnte er Prominenz ohne Verdienst ab. Er ist auf der Suche nach Individuen, die ihre Ideen mit außergewöhnlichem Talent umsetzen. Ihn interessiert, was die Menschen sind, nicht wer. Aus diesem Grund ist in seinen Fotografien der persönliche Kontext des Porträtierten elementar wichtig; die nüchterne Studiofotografie von Richard Avedon oder Irving Penn kommt für Arnold Newman nicht in Frage. Seine Methode orientiert sich eher an der fotojournalistischen Herangehensweise von Henri Cartier-Bresson oder Alfred Eisenstaedt. Jedes seiner Portraits ist auch künstlerisches Statement, nicht nur bloßes Abbild. Mit diesem visuellen Konzept setzt Arnold Newman seit den späten 1930er Jahren hohe Standards in Bezug auf künstlerische Interpretation und ästhetische Innovation.
Bei der Umsetzung ist Arnold Newman Perfektionist. Mit dem Einsatz einer Großbildkamera zwingt er sowohl sich selbst als auch den Porträtierten zu Ruhe und Konzentration. Um eine einzigartig-formale Brillanz zu erreichen, muss er Kontrolle über alle Aspekte des Bildes erlangen. Das bedeutet auch das Arrangieren und bewusste Inszenieren des Umfeldes - bis hin zur völligen Neuordnung der Szenerie, um jedes Detail einzufangen. Zwar hat Arnold Newman eine Vorliebe für natürliches Licht, setzt jedoch - wenn nicht anders möglich - komplexe Ausleuchtungen für die gewünschten Effekte ein.
Arnold Newman liebte die Lehre, was viele seiner Studenten bestätigen können. Die Retrospektive "Masterclass" zeigt, wieviel es noch von diesem Meister zu lernen gibt. Die Ausstellung umfasst 200 schwarz-weiße und farbige Vintageprints aus dem Gesamtwerk des einflussreichsten Porträtfotografen des 20. Jahrhunderts. Neben den bekanntesten Porträts von Arnold Newman umfasst die posthume Retrospektive auch Werke, die in bisher kaum Aufmerksamkeit erlangten: Stillleben, architektonische Studien, frühe Street Photography sowie bisher nicht gezeigte Kontaktbögen. Die Retrospektive wird von der Foundation for the Exhibition of Photography, Minneapolis, und von William Ewing in Zusammenarbeit mit dem Harry Ransom Center, Austin, organisiert. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog bei Thames & Hudson.
Arnold Newman, geboren 1918, gestorben 2006 in New York City, studierte ab 1936 Malerei an der Universität von Miami. Aus finanziellen Gründen musste er jedoch zwei Jahre später sein Studium abbrechen und wurde Porträtfotograf in einem Kaufhaus in Philadelphia. Neben der Auftragsfotografie streifte er durch die Armenviertel, um die Menschen in ihrer gewohnten Umgebung zu dokumentieren. 1939 zog er zurück nach Florida, um ein Porträtstudio in West Palm Beach zu leiten. Anfang der 1940er Jahre eröffnete Arnold Newman hier sein eigenes Geschäft und wandte sich der künstlerischen Fotografie zu. 1941 begann er mit den Künstlerporträts, die er in den kommenden Jahrzehnten perfektionierte. 1945 präsentierte das Philadelphia Museum of Art eine seiner ersten Ausstellungen. Im folgenden Jahr zog er nach New York und erhielt erste Aufträge von Magazinen wie Harper's Bazaar, Life, Look und New Yorker. Seit den 1950er Jahren wurden seine Werk weltweit in Zeitungen und Büchern publiziert sowie in zahlreichen Ausstellungen gewürdigt - unter anderem im Art Institute of Chicago, National Portrait Gallery in London, dem ICP in New York und Musée de l'Élysée in Lausanne. Arnold Newman erhielt für sein Werk unter anderem 1999 den Infinity Award for Master of Photography und 2004 den Lucie Award for Outstanding Achievement in Portrait Photography.