„I like mixing photography and public intervention." Sasha Kurmaz
Regeln aushebeln, Irritation erzeugen. Sichtbar machen, was im Alltag permanent untergeht. Völlig unerwartet. Right in the face! Die nonkonformistischen Aktionen von Sasha Kurmaz finden immer im öffentlichen Raum statt und unterbrechen fast beiläufig die Monotonie vertrauter Wahrnehmungsweisen. Die fotografischen Situationen und illegalen Interventionen des ukrainischen Künstlers sind der Sand im Getriebe. Sie hinterfragen Gewohnheiten und eröffnen neue kulturelle und soziale Freiräume. Seine Haltung ist Guerilla oder Punk – autonom, spielerisch, grenzverletzend, radikal. Fotografie ist für ihn nicht nur ein Instrument, um das Leben wiederzugeben und zu erklären, sondern um das transgressive Potential von Kunst auszuschöpfen und so das Verständnis von Gesellschaft zu verändern. Welche künstlerische Methoden wendet Sasha Kurmaz hierfür an? Welche Konstellationen erzeugt er? Und was lösen seine Strategien aus?
Sasha Kurmaz platziert seine teils explizit sexuellen Bilder bewusst und willkürlich zwischen die Seiten von Büchern in Buchhandlungen. Er bricht Werbe-Displays an öffentlichen Orten auf und ersetzt die ursprünglichen Plakate durch Bilder von Obdachlosen. An Metro-Ausgängen verteilt er an Passanten Zettel mit Fotografien, die den denselben Ort nur einen Tag vorher abbilden. Er steckt unbemerkt Fremden seine Abzüge in deren Jackentaschen. Er schneidet Teile aus Werbebannern, löscht somit jede kommerzielle Information und erzeugt einen neuen Kontext. Durch all diese erratischen Aktionen und Zweckentfremdungen verschiebt er seine fotografisch-künstlerische Praxis in Richtung sozialer Interaktion und persönlicher Begegnung. Der Betrachter bleibt unsicher, was das Ganze bedeuten soll – was genau hat das mit ihm zu tun? So wird er für einen kurzen Moment für seine Umgebung sensibilisiert – wie ein Stolpern, dass erst den Akt des Gehens bewußt macht.
Bei all diesem Situationismus sind nicht das einzelne Bild und dessen Motiv wichtig, sondern deren Wirkung in einem spezifischen Kontext. Für Sasha Kurmaz ist es nicht der fertig gerahmte Print an der Ausstellungswand, welcher zählt, sondern die künstlerische Aktion selbst. Damit steht er in der Tradition eines konzeptuellen Umgangs mit Fotografie, wie er seit den 1970er Jahren eingeführt wurde. Auch damals wurde das bisherige Verständnis von Fotografie auf den Kopf gestellt und führte darüber zu einer Erweiterung von Verwendung, Wahrnehmung und Definition des Mediums Fotografie.
Sasha Kurmaz kommt aus der Grafitti-Kunst und verwendet Fotografie wie eine Sprühdose. Wenn jemand in einer Stadt seinen Tag auf eine Wand sprayt, wird diese Geste den Raum sofort symbolisch zerstören, erobern und ihn sich aneignen. Diese Logik im Verständnis des öffentlichen Raums, bei der man sich auf diesen einlässt und zwischen Menschen und Orten Beziehungen herstellt, lässt er auch in seine fotografische Praxis einfließen.
Für die von Ann-Christin Bertrand kuratierte Ausstellung bei C/O Berlin wird Sasha Kurmaz Aktionen und Interventionen nicht nur auf das gesamte Amerika Haus, sondern auch auf den öffentlichen Raum erweitern. Sasha Kurmaz, geboren 1986 in Kiew, studierte an der Nationalen Akademie der Bildenden Künste und Architektur in Kiew und hat 2008 seinen Bachelor in Design gemacht. Seine künstlerische Arbeit begann er als Graffitikünstler. Er war an zahlreichen internationalen Gruppenausstellungen und Festivals beteiligt, u.a. im Zentrum für zeitgenössische Kunst Schloss Ujazdowski in Warschau (2013), im Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (2013), im Künstlerhaus Wien (2014), in der Saatchi Gallery in London (2015) und auf dem Festival international de mode et de photographie in Hyères, Frankreich (2016). Seine Arbeiten finden sich in zahlreichen internationalen Zeitungen und Zeitschriften, wie Foam, YET, Vice, Libération, Krytyka Polityczna, Bloomberg Businessweek und Rolling Stone. 2015 wurde er auf dem Düsseldorf Photo Weekend mit dem ARTE Creative Award ausgezeichnet. Sasha Kurmaz lebt und arbeitet in Kiew.
Svea Bräunert, geboren 1980, studierte Neuere deutsche Literatur, Kulturwissenschaft und Neuere/Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, der Washington University in St. Louis und der Cornell University, New York. Sie promovierte 2015 mit der Arbeit „Gespenstergeschichten. Der linke Terrorismus der RAF und die Künste". Zurzeit ist sie Postdoktorandin am Brandenburgischen Zentrum für Medienwissenschaften und designierte DAAD Gastprofessorin an der University of Cincinnati. Ko-Kuratorin der Ausstellung To See Without Being Seen. Contemporary Art and Drone Warfare (Mildred Lane Kemper Art Museum, 2016) und Autorin zahlreicher Essays zum Verhältnis von Kunst, Politik und historischer Vorstellung. Svea Bräuert lebt und arbeitet in Berlin.
Nachwuchs fördern und ihm eine erste Chance für die Zukunft geben – Talents ist kreativer Campus für junge internationale Gegenwartsfotografie und Kunstkritik. Seit 2006 fördert C/O Berlin mit dieser Ausstellungsreihe angehende Fotografen und Kritiker, die sich an der Schwelle zwischen Ausbildung und Beruf befinden. Begleitet wird jede Einzelausstellung von einer Publikation, in der Bild und Text einen Dialog eingehen. Talents ist ein internationaler Wettbewerb, der jährlich ausgeschrieben wird. Aus den eingereichten Bewerbungen wählt eine Fachjury jeweils vier Fotografen für einen Jahrgang aus. Mit Hilfe starker Partner schickt C/O Berlin die Fotografen und Kunsthistoriker in die Welt. Dieses in Europa einzigartige Programm ist für viele junge Künstler der Ausgangspunkt für Ausstellungen, z.B. in den Goethe-Instituten Minsk, Paris, Mexico City oder Santiago de Chile.