11.10.2008 - 12.12.2008
Der C/OÂ’s e.V. setzt vom 11. Oktober bis zum 12. Dezember 2008 die Serie Talents unter dem Titel Leaving, again mit Videoarbeiten und fotografischen Serien von Sebastian Stumpf fort. Talents präsentiert angehende Fotografen und Kulturwissenschaftler an der Schwelle zwischen Ausbildung und Beruf. Die Eröffnung findet am Freitag, den 10. Oktober 2008, um 19 Uhr im Postfuhramt an der Oranienburger Straße/Ecke Tucholskystraße.
Wieso klettert jemand im urbanen Raum auf Bäume? Weshalb ahmt er mitten auf der Straße kopfüber Gehbewegungen nach oder rollt sich in letzter Sekunde unter automatisch schließenden Garagentoren hindurch? Mit solchÂ’ inszenierten, alltagsentrückten Situationen konterkariert Sebastian Stumpf gewöhnliche Handlungen, konditioniertes Raumerleben und feste Sehkonventionen – und ruft durch die Auslassung jeglicher Antwort Irritationen hervor.
Das Video „Bäume“ zeigt seine Interventionen an verschiedenen Orten in Berlin, London, Tokyo und Seoul. Er klettert in die fragile Raumstruktur kleiner Baumkronen, die mit den kubischen Volumen der umgebenden Architektur kontrastieren. Die Bäume sind zu klein und die Figur zu groß. Trotzdem entsteht ein momenthaftes Gleichgewicht der Kräfte. Die Bewegungen im Bild wirken natürlich und absurd oder komisch zugleich. In der zweiten Videoarbeit mit dem Titel „Tiefgaragen“ rollt sich der Künstler in letzter Sekunde unter automatisch schließenden Garagentoren hindurch und verschwindet damit an der Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum.
Die Diaserie „marcher à lÂ’envers“ zeigt Momentaufnahmen in denen der Protagonist auf dem Kopf steht und dabei die Haltung des entspannten Spazierengehens imitiert. Die beiläufige Struktur alltäglicher Straßenszenen wird durch die Unwahrscheinlichkeit, die sich in der Pose der Hauptfigur manifestiert aufgehoben und neu definiert. Die Bilder bekommen so eine eigenartige fiktionale Wirkung.
So hinterfragt Sebastian Stumpf in der Ausstellung „Leaving,aAgain“ mittels Video und Fotografie die Grenzen von Räumen und Bildern sowie deren Rezeption. Ausgangspunkt seiner Selbstinszenierungen sind Realitätsausschnitte oder Strukturen urbaner „Natur“. Innerhalb dieser Gegebenheiten schaffen seine Projektionen eine spontane, räumlich-situative Neugestaltung. Stets schwingt dabei der auf Körperkomik basierende Humor des frühen Stummflims mit. Die poetische Wirkung der Arbeiten steigert sich durch die scheinbare Beiläufigkeit seines Auftretens und Verschwindens, durch WiederÂholungen und Variationen der künstlerischen Handlung vor der Kamera. Die Arbeiten erzeugen ein selten erfahrenes Spannungsfeld, das sich aus dem Zusammenspiel von Körper und Raum, Stillstand und Bewegung, Authentizität und Inszenierung ergibt. Als Dokumente angelegt, entfalten die Werke ein fiktionales Potential und stellen zugleich zahlreiche Bezüge zur Foto- und, Zeitgeschichte sowie zur Urbanismus- und Medienkritik her.
C/O Berlin präsentiert die Diaserien „marcher dans l‘air“ und „marcher à l‘envers“, die Videoarbeiten „Bäume“, „Tiefgaragen“ erstmals in Berlin sowie die Videoinstallation „Performance (#16)“, die Sebastian Stumpf eigens für das Treppenhaus des Postfuhramts konzipiert hat.
Sebastian Stumpf, geboren 1980, begann sein Studium 1999 an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg bei Rolf-Gunter Dienst. Nach einem Gaststudium an der École Nationale des Beaux-Arts in Lyon (2001/2002) wechselte er an die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Dort studierte er Fotografie bei Timm Rautert. Nach dem Diplom 2006 beendete er im September 2008 sein Studium als Meisterschüler. Seit 2004 nahm er an verschiedenen Gruppenausstellungen teil, zuletzt „Close the Gap“, Stadtgalerie Kiel. Seit 2005 auch Einzelausstellungen u.a. „Videoinstallationen“, Museum Folkwang, Essen (2007) und „Gravity Pulls Everything“, Goethe Institut Lissabon (2007). Sebastian Sumpf lebt und arbeitet in Leipzig.
Im Katalog zur Ausstellung setzt sich Stefanie Hoch, geboren 1980, die „Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis“ an der Universität Hildesheim studiert hat, mit den Fotografien von Sebastian Stumpf kritisch auseinander. Der Katalog erscheint im Deutschen Kunstverlag.
Seit 2006 präsentiert der C/OÂ’s e.V. angehende Fotografen wie auch Kunstkritiker, die sich an der Schwelle zwischen Ausbildung und Beruf befinden. Talents führt die NachwuchsÂförderung von Bild und Text in einem Programm zusammen. Damit ist Talents in Europa einzigartig und konkurrenzlos. In 2008 steht die Talents-Reihe unter dem Motto „Porträt . Der fotografierte Mensch”. In repräsentativen Arbeitsserien zeigen die Künstler ihre Sicht auf den Menschen als physisches Individuum ebenso wie als sozial-gesellschaftliches Wesen. Fotografien des Menschen und sein Porträt standen immer im Fokus des Mediums, vor allem da hier gesellschaftlich relevante und künstlerisch ästhetische Themenbereiche kulminieren.
Begleitet wird jede Einzelausstellung von einer Publikation, in der Bild und Text einen Dialog eingehen: Die Talente präsentieren sich und ihre Projekte einem breiten Publikum, stellen ihre Arbeiten zur Diskussion und schaffen sich so ein öffentliches Forum. Für die sechs- bis zehnwöchigen AusstellungsÂetappen steht ein 120qm großer Raum in den Räumlichkeiten von C/O Berlin im ehemaligen kaiserlichen Postfuhramt in Berlin-Mitte zur Verfügung: Ein Experimentierraum für junge internationale Gegenwartsfotografie und Kunstkritik.