Die Fotografie der 1950er-Jahre steht im Fokus der Ausstellung, die im Roten Haus gezeigt wird. Wie sieht die Fotografie jener Jahre aus? Wer sind ihre Protagonisten? Welche Bedeutung haben sie für die Fotogeschichte? Und was verbindet sie mit dem Bodensee? Das sind Fragen, denen die Meersburger Schau gewidmet ist.
Ausgangspunkt der Betrachtungen ist die legendäre Gruppe fotoform, die in der frühen Nachkriegszeit Fotogeschichte geschrieben hat. Schon kurz nach ihrer Gründung im Jahr 1949 wurde die Fotografen-Vereinigung weit über Deutschland hinaus bekannt. Und nicht nur das, sie gab auch den Anstoß zu der deutlich größeren internationalen Bewegung der subjektiven Fotografie, bei der der individuelle Standpunkt des Kameramanns betont wurde.
Anerkennung und Beachtung erlangten die zunächst sechs, später acht Mitglieder der Gruppe fotoform mit einer abstrakten Ausdrucksweise, die der Kamerakunst der Nachkriegszeit neue Perspektiven eröffnete. Die bildschöpferischen Ideen der Gruppe entstanden mit Blick auf die fotografische Avantgarde der 1920er-Jahre. Diese Avantgarde war den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge oder hatte als "entartet" gegolten – darunter waren Fotokünstler vom Bauhaus wie Moholy-Nagy und Herbert Bayer oder der Amerikaner Man Ray. Mit diesem Rückbezug grenzte sich fotoform bewusst von der institutionalisierten Fotografie des vorangegangenen Jahrzehnts ab. Sie distanzierte sich damit auch von deren Themen und Inhalten, die in der konventionellen Fotografie der 1950er-Jahre ihre Fortsetzung fanden.
In diesem Sinne entstand fotoform auch als eine Art "Sezession" – aus Protest gegen den vorherrschenden Kunstgeschmack. 1949 war der Fotograf Wolfgang Reisewitz von der Administration der französischen Besatzungszone beauftragt worden, im Rahmen einer Wirtschaftsmesse in Neustadt in der Pfalz eine Fotografie-Ausstellung zu organisieren. Es kam in der Folge zu Auseinandersetzungen in der Jury, da vieles ausjuriert wurde, was Reisewitz gerade bemerkenswert erschien. Kurzentschlossen organisierte er eine eigene Abteilung in der Ausstellung für die "Ausjurierten". Daraus entstand fotoform.
Der Name fotoform war Programm: Es ging um bewusst geformte Fotografie, um die Betonung der Form, nicht um stimmungsvolle Inhalte. Ausschließlich in Schwarzweiß-Bildern arbeiteten die Mitglieder der Gruppe, fanden zu starken Verfremdungen ihrer Bildinhalte und experimentierten mit Licht und Fotopapier. Bewusst wählten sie den Weg der künstlerischen und experimentellen Darstellungsweise und setzten sich damit von der dokumentarischen "objektiven" Fotografie ab.
Früh schon nahm die Gruppe an renommierten Fotoschauen teil und wurde dadurch international bekannt. Sie war auf den ersten photokina-Messen in Köln 1950 bis 1952 vertreten und ebenso bei den bahnbrechenden Ausstellungen „subjektive Fotografie I und II“ in Saarbrücken 1951 und 1954. Doch die Blütezeit von fotoform war kurz, sie dauerte nur wenige Jahre. Reisewitz nannte die Gruppe eine „hochexplosive Mischung“ von Individualisten. Bereits 1957 kam das endgültige Aus. Und so löste sich die Gruppe selbst zwar auf, doch ging sie in die breiter gefächerte, internationale Bewegung der subjektiven Fotografie über, die von fotoform-Wortführer Otto Steinert ins Leben gerufen worden war.
Drei der einstigen fotoform-Mitglieder sind eng mit der Bodenseeregion verbunden: Der Überlinger Fotograf Siegfried Lauterwasser war von früher Stunde an mit dabei. Der Lindauer Fotograf Toni Schneiders gehörte zu den Mitbegründern. Ihm ist es zu verdanken, dass sich der Berliner Fotokünstler Heinz Hajek-Halke ebenfalls der Gruppe anschloss. Hajek-Halke lebte und arbeitete zwischen 1934 und 1954 in Kressbronn.
Mit rund 90 Aufnahmen bietet die Meersburger Schau einen Einblick in das Schaffen aller fotoform-Mitglieder: Peter Keetmann (1916-2005), Siegfried Lauterwasser (1913-2000), Wolfgang Reisewitz (1917-2012), Toni Schneiders (1920-2006), Otto Steinert (1915-1978) und Ludwig Windstoßer (1921-1983), Heinz Hajek-Halke (1898-1983) und Christer Strömholm (1918-2002). Im Blickfeld steht dabei auch ihre Kommunikation, welche Aufschlüsse über die Entwicklung der Gruppe und über den Prozess ihrer Bildfindung ermöglicht. Den Schwerpunkt der Ausstellung bilden die Arbeiten von Siegfried Lauterwasser und Toni Schneiders.
Erstmals sind fotoform-Arbeiten von Lauterwasser und Schneiders hier in einer themenzentrierten Schau zu sehen. Auch stellt die Präsentation der gesamten Gruppe fotoform in der Region ein Novum dar. Kuratorin Dorothea Cremer-Schacht von der Projektgruppe Fotografie am Bodensee, Konstanz, greift damit den Ausgangspunkt auf, um nach 65 Jahren in einem umfassenden Rückblick an fotoform und die subjektive Fotografie zu erinnern. Mit wertvollen Leihgaben aus dem Folkwang Museum Essen und teils seltenen Arbeiten aus dem reichen Nachlass von Lauterwasser und Schneiders wird diesem besonderen Aspekt der Fotografie aus den 1950er-Jahren Raum gegeben.