„„Sie haben sich etwas erwartet.
Sie haben sich vielleicht etwas anderes erwartet. (...)
Jedenfalls haben Sie sich etwas erwartet.
Allenfalls haben Sie sich das erwartet, was Sie hier hören.
Aber auch in diesem Fall haben Sie sich etwas anderes erwartet.“
Peter Handke, Publikumsbeschimpfung, Frankfurt/Main 1981, S. 15.
Bezeichnend für die Arbeiten von Sanya Kantarovsky ist ein Nebeneinander von abstrakten und gegenständlichen Elementen, die in seinen Gemälden in einen regen Austausch treten. So wird z.B. eine rein abstrakte Formenanhäufung durch die Einbeziehung einer einzigen, recht unscheinbaren Hand zum Bild eines Vorhangs oder eines Armes, lassen zwei simple, gekreuzte Linien ungegenständliche Anordnungen in Darstellungen von Fenstern und Türen kippen. Figuration und Abstraktion sind in seinen Werken gleichsam ab- wie anwesend, bedingen und befragen sich. Die figürlichen Elemente speisen sich dabei aus disparaten Quellen: Die Eleganz von Fred Astaire und Illustrationen in der Tradition des New Yorker stehen neben politischer Bildpropaganda des Sowjetrusslands der 1930er Jahre und dem Zeichnungsstil aus Kinderbüchern. Der melancholisch-untergründige Humor eines Franz Kafka bestimmt die Atmosphäre seiner Bilder ebenso wie eine durch den Strich vermittelte Leichtigkeit und eine sanfte Farbigkeit. Dabei stellen seine Werke häufig auch die Frage nach den Widrigkeiten des kreativen Prozesses oder des Wahrnehmungsvorganges: Personen sitzen vor einer Leinwand ohne Film, beäugen eine leeres Bild oder halten sich beschämt den Kopf angesichts einer weißen Rechteckform.
Kantarovskys Gemälde sind vielfältige Organismen, die die Unterscheidungen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, hoch und niedrig, formaler Leichtigkeit und inhaltlicher Schwere auflösen, indem sie sie präzise gesetzt gegeneinander ausspielen. Im ersten Moment erscheinen sie geradezu verführerisch zugänglich, um bei genauerem Hinsehen Vorgaben, wie die Dinge anzusehen und einzuordnen sind, zu unterlaufen. Diese Offenheit der Perspektiven bewahrt sich Kantarovsky auch, wenn er neben seiner Tätigkeit als Künstler immer wieder in die Rolle des Kurators schlüpft oder die architektonischen Situationen, in denen seine Arbeiten gezeigt werden, unermüdlich neu befragt.
Für You are Not an Evening hat er eine Serie neuer Gemälde geschaffen, die Erwartungen unterlaufen und neu justieren, indem sie eher ein Vorher, Nachher, Dahinter und Dazwischen darstellen als das eigentliche Geschehen festzuhalten: Personen sind im Begriff, das Bild zu verlassen, wenden uns dabei den Rücken zu oder sind bereits zum großen Teil von der Leinwand verschwunden. Sie starren gebannt auf etwas, was außerhalb unserer Wahrnehmung liegt. An anderer Stelle legen sich abstrahierte Formen wie dunkle Wolken über die Erzählungen der Bildfläche. Den Strategien von Peter Handkes Theaterstück Publikumsbeschimpfung folgend betont das Konzept der Ausstellung eher das Nichtanwesende und die Unterwanderung klassischer Vorgaben: You are Not an Evening stellt bereits der Titel der Präsentation klar. Mit Namen wie There are no Intervals Here oder You Expected Objects schließen sich auch die Gemälde der Vorstellung an, gerade nicht zu erfüllen, was ihr zunächst so zugänglich auftretendes Erscheinungsbild an Erwartungshaltungen hervorrufen mag.
Für seine Leinwandarbeiten entwickelt Sanya Kantarovsky in der GAK eine Ausstellungssituation, in der eine lineare Skulptur zum Raum im Raum wird. Besonders auffällig sind in diesem Zusammenhang fünf von der Decke hängende Wände, die sich als Hybride aus eigenständiger, skulpturaler Setzung und Ausstellungsdisplay erweisen. Sie reagieren in ihrer Platzierung auf die Besonderheiten der institutionellen Architektur, machen den Wahrnehmungsvorgang der Besucher/innen durch die erzwungene Bewegung um sie herum bewusst nachvollziehbar und choreografieren den Raum in einem Zustand zwischen bewusster Führung und Zufall. Ihre Oberfläche ist auf eine Art mit unterschiedlich gemusterten Stoffen bezogen, die an monumentale Oberbekleidung denken lässt. Die Gemälde, die auf den Wänden angebracht sind, nehmen sich demgemäß wie Broschen auf einem Kleidungsstück aus. Die sich zwischen ihnen bewegenden Besucher/innen ergänzen die so entstehenden Oberkörperanmutungen mit Beinen und Füßen zu slapstickhaften Körpern. Kantarovsky selbst beschreibt dieses Pendeln zwischen Körperhaftigkeit und Raumbezug mit: „The body becomes architecture.“
Sanya Katarovsky wurde 1982 in Moskau geboren, hat an der Rhode Island School of Design, Providence, und an der University of Los Angeles freie Kunst studiert und lebt in New York. Er hatte Ausstellungen bei Lax><Art in L.A., in zahlreichen internationalen Galerien und hat im vergangenen Jahr die Gruppenausstellung Things, Words and Consequences im Moscow Museum of Modern Art kuratiert. Derzeit arbeitet er an einem Animationsfilm für Lax><Art und entwickelt ein Projekt mit Frances Stark für die kommende Art Basel Features. You are Not an Evening ist seine erste institutionelle Einzelausstellung in Europa.