Haus Knobloch, 1926, heute Haus am Waldsee, Foto: Käthe Stoef, Hamburg
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Haus am Waldsee - International Kunst in Berlin

Haus am Waldsee, Fassadengestaltung Werner Aisslinger, 2013, Foto: Daniele Manduzia
Haus am Waldsee, Fassadengestaltung Werner Aisslinger, 2013, Foto: Daniele Manduzia
Haus Knobloch, 1926, heute Haus am Waldsee, Foto: Käthe Stoef, Hamburg
Haus Knobloch, 1926, heute Haus am Waldsee, Foto: Käthe Stoef, Hamburg

Argentinische Allee 30
14163 Berlin
Tel.: 030 801 89 35
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Öffnungszeiten:

Di-So 11.00-18.00 Uhr

Michael Sailstorfer: Video, Installation, Performance

05.09.2014 - 09.11.2014

Als herausragender Konzeptkünstler unter den jungen deutschen Bildhauern arbeitet Michael Sailstorfer (*1979) mit Objekten der Natur, der Technik, dem urbanen Raum und der Kunstgeschichte. Er greift zu Gegenständen, die er mit neuer Bedeutung auflädt: Bäume werden zu Wurfgeschossen, Bushaltestellen zu Einzimmerwohnungen, Waldstücke zu konstruktivistischer Kunst, Straßenlaternen zu funkensprühenden Liebespaaren, Traktorreifen zu Wolken über dem New Yorker Central Park. Sailstorfer hat alte Polizeiuniformen zu Teppichen verwebt, ein Wohnhaus in ein Sofa verwandelt und festgehalten, wie sich eine Hütte im eigenen Ofen selbst verbrennt. Der Künstler entzieht den Dingen ihren ursprünglichen Zweck, zerlegt, deformiert, adaptiert sie und setzt sie neu zusammen, um zu kraftvollen Installationen zu finden, die vor allem das kreative Potenzial der Gegenstände in unserer unmittelbaren Umgebung sichtbar machen. Diese Gegenstände präsentiert er physisch im Ausstellungsraum, oder er führt sie als prozesshaft-performative Videoarbeit vor. Umkehr- und Umdeutungsstrategien werden sichtbar, mit denen Sailstorfer Funktionen aufgreift, zu Ende denkt und ad absurdum führt. So schafft der Künstler neue und überraschende Identitäten.
Im Jahr 2001 erwarb Sailstorfer in seiner Niederbayrischen Heimat einige ausgediente Bushaltestellenhäuschen, die er als bewohnbare Zimmer einrichtete. Unter dem Titel: „Wohnen mit Verkehrsanbindung“ veranlasst die fünfteilige Arbeit neu über das Warten, die Zeit, den Raum, das Wohnen und das Unterwegssein nachzudenken. Seit 2010 befindet sich eine dieser Bushaltestellen mit Wartehäuschen im Skulpturenpark des Hauses am Waldsee. „Wohnen mit Verkehrsanbindung (Großkatzbach)“. Im New Yorker Central Park schuf Sailstorfer zehn Jahre später, 2011, ein überdimensionales Wolkenknäuel aus schwarzen Traktorenreifen, die wie ein Tornado erscheinen. Seine Auftragsarbeit erschien wie eine unmittelbare Antwort auf Andy Warhols smarte „Silver Clouds“ von 1966. Mit „Schwarzwald“ (2010) präpariert Sailstorfer ein 6x6x6 Meter messendes Stück Wald mit schwarzer Farbe: am Boden und hoch über die Stämme der Bäume.
Mit unserem wiedererwachten Bewusstsein für die Natur als Motor allen Lebens schafft Sailstorfer eine konträre Antwort auf Kasimir Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ von 1915, das damals ganz rational das aufkommende Technikzeitalter antizipierte. - „Elektrosex“ zeigt zwei ausladene Straßenlaternen, die Sailstorfer so nahe zusammenrückt, dass Blitze zwischen den Lampenköpfen hin und her wandern. Der Straßenraum wird in den musealen Kontext überführt. Allein durch die ungewöhnliche Platzierung der Laternen, werden sie zu Emotionsträgern, die überraschen und neu über funktionale Möblierung im öffentlichen Raum nachdenken lassen. Sailstorfer steigert seine Arbeiten zuweilen slapstickartig bis zum Absurden. Immer wieder fragt er nach unserem Verhältnis zu den Dingen, die uns im Alltag selbstverständlich umgeben und unter der Phantasie des Künstlers überraschend neue Seiten entfalten, die zum anders- und weiterdenken anregen.
In der Ausstellung im Haus am Waldsee werden zum ersten Mal sämtliche Videodokumentationen von Aktionen zu sehen sein, die der Künstler in den vergangenen zehn Jahren durchgeführt hat. Außerdem sind neue Projekte geplant. Darunter eine Konstellation mit einem Bohrer, der rechtwinklig an die Wand montiert wird und Bohrköpfe in Form von verkleinerten, populären Skulpturen – z.B. der Freiheitsstatue von einem Ausstellungsraum in den anderen treibt. Während des Bohrvorgangs verändert sich die Gestalt der Skulptur durch den Widerstand der Wand. Diese ist seit 70 Jahren als Ausstellungswand mit Kunst aufgeladen und verleiht der Plastik nun fast wörtlich den letzten Schliff. Die Bohrmaschine soll wasserbetrieben sein. Über zwei Feuerwehrschläuche wird Wasser aus dem Waldsee zur Maschine gepumpt und wieder zurück in den See. Diese spektakuläre Konstellation, die mehrere hundert Meter Schlauch beansprucht, interpretiert den Ausstellungsraum samt Skulpturenpark zu einer Art Intensivstation um, auf der unter größtem Aufwand eine kleine Veränderung am „Gen“ der Kunstgeschichte vorgenommen wird. Die Arbeit stellt zugleich einen schweren Geburtsvorgang vor, der neue Räume und Welten eröffnet. Der Bohrvorgang steht aber auch für den bildhauerischen Vorgang selbst: Material wird aufgebaut und abgetragen und in der maschinell gesteuerten Konstellation von Sailstorfer sich selbst überlassen. Während etwa der Arte Povera Künstler Giuseppe Penone die Borke eines Baumes entfernen lässt, um die nackte Naturschönheit der Äste sichtbar zu machen, nimmt Sailstorfer den umgekehrten Weg und wertet ein weltberühmtes Artefakt dadurch um, dass er es wie einen Wurm durch eine Wand treibt und dessen anerkannte Kunstschönheit somit in Frage stellt.
Sailstorfer nimmt in seinen Werken immer wieder deutlich Bezug zur jüngeren und älteren Kunstgeschichte. Vor diesem Hintergrund hat er in den vergangenen fünfzehn Jahren ein bedeutendes Oeuvre geschaffen, das international wahrgenommen wird und eine eigenständige Position im zeitgenössischen Diskurs zur Bildhauerei markiert.

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