23.11.2012 - 10.02.2013
Das Label ECM (Edition of Contemporary Music) wurde 1969 von Manfred Eicher in München gegründet, um improvisierte und Avantgarde-Musik einzuspielen, zu produzieren und zu veröffentlichen. Als eine der ersten von Musikern geführten Plattenfirmen in Europa sprachen ihre Aufnahmen vom Verständnis eines Musikers und setzten Maßstäbe für eine akustische Komplexität, die bis heute die Produktionen prägen. ECM achtete auf Werktreue statt auf kommerzielle Trends und setzte mit seinen kristallklaren Aufnahmen neue Maßstäbe für die Plattenproduktion. Zu seinen Künstlern zählen unter anderem Paul Bley, Keith Jarrett, Chick Corea, Jan Garbarek, das Art Ensemble of Chicago, Don Cherry und Dave Holland: Spitzenmusiker des neuen Jazz. Selten zuvor war Jazz so sorgfältig aufgenommen worden - mit einem Sound, der den individuellen Sound jedes Künstlers genau widerspiegelt.
Durch seine Tätigkeit als Musiker, der sowohl in klassischer Musik als auch in Improvisation Erfahrung hatte, erweiterte Manfred Eicher das Programm der Plattenfirma um Aufnahmen von zeitgenössischer komponierter Musik. Er arbeitete früh mit Jahrhundertkünstlern wie Steve Reich und John Adams zusammen. Reichs bahnbrechendes Werk Music for 18 Musicians (1976) spielt eine Schlüsselrolle im Oeuvre des Komponisten und in der Geschichte des Minimalismus. Den größten Einfluss in der Geschichte von ECM als Produzent zeitgenössischer Kompositionen hatte das Werk des estländischen Komponisten Arvo Pärt. Seine Tabula Rasa von 1984 veränderte die Landschaft der Neuen Musik. Bei Komposition wie bei Improvisation legen Eicher und ECM den größten Wert auf eine dauernde enge Zusammenarbeit mit den Künstlern - ähnlich wie zwischen Schriftstellern und ihren Verlegern. Unter den frühen "Bestsellern" war Keith Jarretts improvisiertes Klavier-Soloalbum The Köln Concert (1975), ein nachhaltiger und wirkungsmächtiger Erfolg.
Die Arbeit von ECM umfasst viele Genres und experimentelle Formate. Der Katalog reicht von der Schule von Notre-Dame aus dem 11. Jh. und Gregorianischer Musik bis zu den Werken von Komitas and Gurdjieff. Unter den zeitgenössischen Komponisten sind György Kurtág, Heinz Holliger, Meredith Monk, Heiner Goebbels, Valentin Silvestrov, Tigran Mansurian, Erkki-Sven Tüür und Giya Kancheli. Im Bereich Jazz sind die meisten Künstler, die in den 1970er-Jahren zu ECM kamen, entweder geblieben oder zurückgekommen. Zu den Veteranen zählen Tomasz Stanko, Enrico Rava, Bobo Stenson, John Abercrombie, Jack DeJohnette und John Surman, eine jüngeren Generation vertreten Craig Taborn, Chris Potter, Stefano Bollani, Mark Turner, Trygve Seim, Marcin Wasilewski, Stefano Battaglia, Thomas Morgan, Tord Gustavsen, Jason Moran, Eric Harland und viele andere.
Manfred Eicher hat auch eng mit Filmemachern zusammengearbeitet und einige der resultierenden Soundtracks sind bei ECM erschienen, so der Soundtrack von Jean-Luc Godards Nouvelle Vague und Histoire(s) du Cinéma und Eleni Karaindrous Musik für die Filme von Theo Angelopoulos.
Obwohl die frühe Arbeit von ECM in amerikanischen und europäischen Formen verwurzelt war, reicht das Spektrum über diese Traditionen hinaus und ist zutiefst transkulturell. Das Codona-Trio von Don Cherry,
Collin Walcott und Naná Vasconcelos war hier einer der Pioniere der 1970er-Jahre. Die Musik von Anouar Brahem, die die Lebenserfahrungen des tunesischen Oud-Meisters spiegelt, geht auf arabische, nord-afrikanische und europäische Wurzeln zurück. Der iranische Kamancheh-Musiker Kayhan Kalhor erforscht in der Gruppe Ghazal zusammen mit dem indischen Sitaristen Shujaat Husain Khan und später in Projekten mit dem türkischen Baglama-Virtuosen Erdal Erzincan ost-östliche Hybride. Das Album Arco Iris der marokkanischen Sängerin Amina Alaoui zeichnet eine poetische Landkarte der iberischen Halbinsel und streift neben der Garnati-Tradition, die im Zentrum von Alaouis Arbeit steht, auch Fado und Flamenco.
ECM - Eine kulturelle Archäologie konzentriert sich auf die ausgedehnte kulturelle Landschaft, in der ECM tätig war. Die Idee einer kulturellen Archäologie des Labels basiert nicht nur auf der Analyse seiner Praxis als bahnbrechende Plattenfirma; seine Geschichte soll vielmehr in den Kontext der kritischen Debatten gestellt werden, innerhalb derer sich avantgardistische und anspruchsvolle zeitgenössische Musik seit den späten 1960er-Jahren positioniert hat. Die kulturelle Archäologie dreht sich dabei nicht nur um Musik, sondern immer auch um Kulturpolitik. Dabei geht es um die theoretischen Aspekte afroamerikanischer Musik der 1960er-Jahre - der Blütezeit der Menschenrechtsbewegung, - und um ein neues Verhältnis zwischen Musikern, Musik, und Zuhörern. Eine Neuformulierung von Prioritäten beeinflusste die Entwicklung des Free Jazz, als mit Musikern wie The Music Improvisation Company mit Evan Parker and Derek Bailey, Circle mit Chick Corea und Anthony Braxton, The Art Ensemble of Chicago und Mal Waldron (dessen Album Free at Last die erste Veröffentlichung von ECM war) neue Formen improvisierter und komponierter Musik entstanden.
Bei ihrem Streifzug durch die Geschichte von ECM zeigt die Ausstellung visuelles Material, Archivmaterial und Tonaufnahmen. Sie umfasst eine große Spannbreite von Formaten - Geräusch, Musik, Fotografie, Film, Notenmaterial, Platten, Editionen und Archivdokumente - die über 40 Jahre Arbeit bei ECM illustrieren. Die Ausstellung macht dabei nicht bei ECM Halt, sondern nimmt Bezug auf den Kontext des Labels und auf andere von Musikern geführte Initiativen der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre wie JCOA (Jazz Composer's Orchestra Association); weiterhin werden Installationen und Arbeiten zeitgenössischer Künstler gezeigt, deren Erkundung von Ton und Bild neue Einblicke gewährt und Parallelen zur Arbeit von ECM aufweist.