Die letzten Malereien und Zeichnungen von Ull Hohn, für die der Künstler Bilder seiner Jugendzeit aufgriff, sind in den Jahren 1994 und 1995 entstanden und tragen den Titel Revisions. Oftmals sind die Unterschiede kaum auszumachen, doch wählte Hohn für einige der neueren Versionen ein größeres Format oder ließ die gegenständlichen Motive souveräner in Erscheinung treten. Mit diesem Rückgriff auf eine Zeit noch vor seiner künstlerischen Ausbildung markierte Hohn, der im Jahr 1995 im Alter von 35 Jahren an den Folgen von Aids gestorben ist, im prüfenden Rückblick auf den Beginn seines künstlerischen Schaffens eine Art Endpunkt. Zugleich reflektierte er mit den Revisions über seine eigene Geschichte und darüber, was das „Künstler-Werden“ mit dem „Künstler-Sein“ verbindet: Ein Blick, der von der jugendlichen Selbst-Erziehung über die späteren Prägungen durch Lehrer und Institutionen reicht.
Nachdem Hohn von 1980 bis 1984 an der Hochschule der Künste in Berlin und 1984 bis 1986 als Meisterschüler bei Gerhard Richter an der Kunstakademie Düsseldorf studiert hatte, zog er Ende 1986 nach New York, um am Whitney Independent Study Program (ISP) teilzunehmen. Dieser Schritt war motiviert von dem Wunsch nach einem Perspektivwechsel, da Hohn den deutschen Malerei-Diskurs, der sich damals stark auf malereiinterne Fragestellungen bezog, als beschränkend empfand. Das ISP dagegen versprach eine vehementere Diskussion der gesellschaftlichen Bedingungen künstlerischer Produktion und die Möglichkeit politischer Aussagen in der Kunst. In New York entwickelte Hohn einen Zugriff auf malerische Traditionen, für den die Frage nach den Artikulationsmöglichkeiten von Homosexualität wesentlich war. Das Interesse an der Repräsentation des eigenen Begehrens geht in diesen Arbeiten mit damals aktuellen Debatten der amerikanischen Culture Wars, dem reaktionären Backlash der 1980er Jahre und den vom politischen Mainstream propagierten Fehldarstellungen der Aids-Krise einher.
Immer wieder bezog sich Hohn auf traditionelle malerische Fragestellungen, wie das Gegenüber von Abstraktion und Figuration, oder ikonografische und motivische Vorgaben, etwa aus dem Genre der Landschaftsmalerei, mit denen Vorstellungen von Natur und Natürlichkeit durchgespielt wurden. Doch führte er Differenzen ein, wenn er beispielsweise explizit homosexuelle Perspektiven vorschlägt, oder mit dem „Fernsehmaler“ Bob Ross eine Lehrerfigur einführt, die außerhalb kunsthistorisch etablierter Bezugsrahmen angesiedelt ist. In einer Zeit, in der Malerei weithin als wenig diskursiv und allzu selbstbezüglich bewertet wurde, stellte Hohn die Frage, inwieweit Malerei zugleich subjektiv-ästhetisch und konzeptuell produktiv gemacht werden kann und wie sozialhistorische Bedingungen und eine malerisch-materielle Sensibilität und Subjektivität gegenseitig aufeinander verwiesen sein können.
In der Kunsthalle Bern werden erstmals in der Schweiz Arbeiten von Ull Hohn in einem Überblick präsentiert, nachdem einige seiner Bilder bereits im Sommer 2015 in der Gruppenausstellung Raw and Delirious vorgestellt wurden. Die in Zusammenarbeit mit den beiden Kunsthistorikern Magnus Schaefer (New York) und Hannes Loichinger (Hamburg/Wien) entwickelte Ausstellung ist entlang verschiedener Themen aufgebaut, die in Hohns Arbeit eine Rolle spielen. Ergänzt wird die Ausstellung durch eine Auswahl dokumentarischer Materialien, die Bezüge zu zeithistorischen Ereignissen und Theorien herstellen, vor deren Hintergrund die Arbeiten Hohns entstanden sind.
In der Ausstellung The Unanswered Question zeigt Megan Francis Sullivan ältere und neue Arbeiten innerhalb eines Settings, das auf Strukturen ausserhalb und innerhalb der Kunsthalle Bezug nimmt. Aspekte der vorhandenen Architektur werden dabei mit Werken oder Objekten in Zusammenhang gebracht, die selbst wiederum architektonische Funktionen aufweisen können. Der Austausch zwischen Formen und Funktionen, Innen und Außen, Materialität und Zeichenhaftigkeit wird derart zum eigentlichen Ausgangspunkt der Arbeit. Sullivan verschränkt Elemente der Kunstgeschichte, des Designs, der Popkultur und des Sports. Objekte, die sie zufällig findet bezieht sie dabei genauso mit ein, wie die Ergebnisse intensiver Recherchen. Gefundene und gekaufte Dinge, in Auftrag gegebene oder im Atelier gefertigte Arbeiten werden miteinander verbunden. Mit dieser Arbeitsweise wird auf unterschiedliche Rahmenbedingungen verwiesen, die Kunstobjekte nicht nur sichtbar machen, sondern auch Inhalt und Wert erzeugen. Der ursprüngliche Charakter der Objekte und Arbeiten wird dabei durch Techniken der Adaption oder Umkehrung manipuliert und diesen subjektive, „queere“ oder melancholische Züge injiziert.
Der Titel der Ausstellung The Unanswered Question bezieht sich auf das gleichnamige Musikstück des amerikanischen Komponisten Charles Ives (1874–1954), der wie Sullivan in Connecticut geboren wurde. Ives Kompositionen werden oft als „skurril“ umschrieben. Zugleich wird er für seine modernen Werke, in denen er verschiedene Musikstile nebeneinander stellt, gefeiert. Der Komponist Leonard Bernstein bemerkte im Zusammenhang mit diesem Stück: während die Trompete „die immerwährende Frage nach der Existenz intoniert“, scheinen die Flöten „die Sinnlosigkeit zu realisieren und sich über die Frage lustig machen“ [while the trumpet “intones the perennial question of existence”, the flutes “seem to realize the futility and begin to mock the question”]. Ähnlich formt Sullivan mit unterschiedlichen Stimmen schillernde Bezugssysteme, in denen Anspielung, Anekdote und Analyse sich in seltsamen Pirouetten bewegen.
Arbeiten von Ull Hohn (geb. 1960 in Trier, gest. 1995 in Berlin)wurden u.a. präsentiert bei MD72/Galerie Neu, Berlin (2016), Peephole, Mailand (2015), mumok, Wien (2015), Kunsthalle Bern (2015), Museum Brandhorst, München (2015), Bortolami, New York (2012), CAPC, Bordeaux (2011), Sculpture Center, New York (2011), Algus Greenspon, New York (2010), Between Bridges, London (2009), Galerie Neu, Berlin (2000), Künstlerhaus Bethanien, Berlin (1996), Kunstraum Wien (1994), American Fine Arts, Co., New York (1993), White Columns, New York (1990), Julian Pretto–Berland/Hall, New York (1989). In 2015 ist die Publikation Ull Hohn: Foreground, Distances bei Sternberg Press, Berlin, erschienen.
Arbeiten von Megan Francis Sullivan (geb. 1975 Stamford, CT, USA, lebt in Berlin) wurden u.a. präsentiert bei Objectif Exhibitions, Antwerpen (2015), Mathew Gallery, New York (2015), Midway Contemporary Art, Minneapolis (2014), Mathew Gallery, Berlin (2014), VI, VII, Oslo (2014), Freymond-Guth Fine Arts, Zürich (2013), Castillo/Corrales, Paris (2013), Halle für Kunst, Lüneburg (2013). Es erschienen u.a. folgende Künstlerbücher und Publikationen: A Catalogue Raisonné, Antwerpen: Objectif Exhibitions, 2016; Zipper Keeper 2015, Minneapolis: Midway Contemporary Art, 2014; Die Hunterklasse, Maastricht: FNVerlag / Jan van Eyck Academie, 2008; HBL – Hedgebrook Lane, Frankfurt am Main: Revolver Verlag, 2004.