Vern Blosum existiert nicht. Die Geschichte, in wenigen Zeilen: Ein Künstler, inspiriert von einem Buch über den Gartenbau, schafft 1961 drei Gemälde, die Illustrationen und Textfragmente des Buches in Öl reproduzieren. Es folgen: eine Serie von Parkuhren mit zeitbezogenen Kommentaren, Hydranten mit personalisierten Aufschriften, Briefkästen und andere Elemente des urbanen Mobiliars, aber auch Tierdarstellungen. Einige dieser Gemälde werden in der Galerie Leo Castelli ausgestellt – und an Sammler und öffentliche Kunsteinrichtungen verkauft. Unter diesen ist auch das Museum of Modern Art New York (MoMA), das 1962 eine Parkuhr mit dem Titel „Time Expired“ erwirbt. Blosum figuriert in mehreren massgeblichen Ausstellungen über die amerikanische Pop Art, und seine Karriere scheint sich ganz normal zu entwickeln – wären da nicht die Gerüchte um seine wahre Identität. Alfred H. Barr, der Direktor des MoMA, befasst sich damit ab 1964. Nach langen Recherchen und Nachfragen bei Castelli, der nichts Näheres zu wissen scheint, erklärt der Bundesstaat Colorado, wo Blosum geboren sein soll, den Künstler 1973 für nicht gemeldet.Die Gemälde verschwanden aus den Sammlungen und Blosums Laufbahn versandet. Bereits 1964 hatte er zwei Bilder von Stoppschildern realisiert, also zwei auf der Symbolebene als ‚letzte Werke‘ lesbare Gemälde.
Blosums Wiederentdeckung ist zwei Galeristen zu verdanken, Tom Jimmerson (TomWork Gallery, Los Angeles) und Maxwell Graham (Essex Street, New York). Die Kritik verweist auf die Gleichzeitigkeit von Blosums Schaffen und demjenigen Andy Warhols, John Baldessaris und Ed Ruschas, analysiert sein Pseudonym (ob es nun im Sinne Duchamps gemeint ist – Rrose Sélavy – oder eine vage sozialkritische Stossrichtung aufweist), diskutiert seine Beziehungen zu anderen ‚erfundenen‘ Künstlern wie Philippe Thomas, John St. Bernard, Reena Spaulings, spricht von Appropriation, von der Demontage des Kunstsystems und von der Dekonstruktion dessen, was sich zur ‚Gegenwartskunst‘ zu entwickeln im Begriffe ist.
Fest steht, dass ein Künstler mit abstraktem, nicht-objektivem Modus Operandi (der abstrakte Expressionismus dominierte in New York) während weniger Jahre ein Korpus von Werken schuf, die sich mit Drucktechniken, der Sprache, der graphischen Reproduktion und Stilisierung, dem Alltäglichen und Banalen sowie dem Regime der Bezeichnungen und Begriffe auseinandersetzen. Um das zu erreichen, schuf er eine ‚auktoriale‘ Figur, die von seiner zivilen Identität zu unterscheiden ist – und entschied sich nach wenigen Jahren, seine künstlerische Produktion einzustellen. Die Tatsache, dass er einige Jahre später einen anderen Avatar kreierte, der, diesmal unter einem deutschen Namen, Op-Art machte, verweist auf den strategischen Charakter dieses ganzen Spiels mit Stilsignaturen und verschobenen Identitäten.
Vern Blosum existiert nicht, seine Arbeiten aber schon. Zu dieser Erkenntnis lädt diese Ausstellung ein. Sie versammelt mehr als dreissig Gemälde Blosums aus den Jahren 1961 bis 1964, also den grössten Teil seines Oeuvres, das auf 45 Gemälde geschätzt wird.