Man ist in einer Welt, wo sollte man sonst sein. Aber ist man wirklich in ihr? Oder ist man nicht immer schon dabei, sie zu verlassen? Und während man aus ihr hinausläuft, bewegt man sich doch gleich wieder in sie hinein.
Vittorio Brodmann ist Maler, aber seine Praxis umfasst auch Zeichnungen, Performances, Videos und Skulpturen. Seine Bilder wirken wohltuend unverkrampft, sind aber trotz ihrer Leichtigkeit alles andere als unschuldig. Neben einem manchmal fast kindlichen Gemüt samt dessen Abgründen wohnt ihnen eine Reflexion darüber inne, unter welchen Voraussetzungen heute überhaupt gemalt werden kann. Das Wissen um die handfesten Kämpfe, wie und ob noch gemalt werden kann, durchdringt Brodmann nicht mit der Skepsis eines Meta-Malers. Er setzt seine Pinselstriche nicht zögerlich, arbeitet nicht mit Zurücknahme, Aufschub und den Versprechen jener Bilder, die gemalt werden könnten, aber gegen die sich immer wieder ein Grund findet, sie noch nicht zu malen. All diese Zweifel schließt er nicht aus, überspringt sie aber, indem er andere Kräfte als Antrieb ins Spiel bringt, die seine malerische Bodenhaftung aus ihrem Fundament heben. Brodmann malt vorwärts, mit Energie und Imagination, um aus dem Schatten der möglichen Unmöglichkeit statt zu einem Mangel zu einem Überschuss zu finden. So kräftig und dynamisch viele seiner Bilder auftreten, war er sich früh über die problematische Nähe zu „grosser Malerei“ bewusst. Das Gespenst des Helden, der jeden Nagel sicher auf den Kopf trifft, wird bei ihm zur Figur des Komödianten, der daneben haut.
Brodmann widmete sich lange dem Kleinformat, was zu einem Merkmal seiner Arbeit geworden ist. Da es aber auch eine Frage sein kann, wie große Gesten nicht gemeint sein können, entwickeln sich mittlerweile manche Bilder auf grossen Leinwänden. Dies entspringt auch einem Gefühl der Notwendigkeit, die bislang oft wie in einem auseinandergezerrten Comic-Strip auftretenden Motive auf eine grössere, verbundene Fläche zu bringen. Gleichzeitig werden im Verhältnis zum Wachstum des Untergrundes die Mittel der Malerei zugunsten von Zeichnung und Aquarell verkleinert. Charakteristisch in Brodmanns Malerei sind die in eine Zwischenwelt mutierten und ins Fantastische gemorphten Figuren, die mal menschliche, mal tierische, vielfach chimärische Züge aufweisen. Sie treten oft in Zweier- oder in Gruppenkonstellationen auf, befinden sich in einem Dialog oder existieren isoliert als Einzelwesen. Manche Figuren haben klare Konturen, sind fassbare Subjekte. Viele erscheinen jedoch zersetzt oder fliessen ineinander und bilden statt ziviler Kontaktaufnahmen grotesk ineinander verschlungene Körper. Die freundlich wirkenden Tumulte drohen immer wieder ins Neurotische zu kippen; manche Motive springen einen an wie Schachtelteufel. Zugleich bergen sie auch stille Seiten und zeigen inmitten Atmosphären emotionaler Unruhe Figuren der Einsamkeit.
Es ist kein Realismus, den Brodmann betreibt; er arbeitet mit Techniken der Verfremdung und versetzt die Bilder mit karnevalesken und komödiantischen Momenten. In jedem Bild wird ein flirrendes Schauspiel sozialer Konflikte, Verständigungen und Übereinkünfte präsentiert. Es sind Ausnahmezustände poröser Innenwelten, die ständig vom Aussen durchweht werden und die autoritären Erwartungen an eine Ordentlichkeit den Rücken kehren.