25.01.2011 - 25.04.2011
Die Ausstellung "Faszination Kirchner" in der Kunsthalle Darmstadt ist Bestandteil des großen Kooperationsprojekts "Phänomen Expressionismus", das vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain initiiert und koordiniert wurde. Die Kirchner-Retrospektive im Städel Museum in Frankfurt am Main von 2010 stellte den weltberühmten Expressionisten und Mitbegründer der Künstlergruppe "Brücke" (1880 - 1937) umfassend in vielen, auch biographischen, Facetten vor. Die Ausstellung in der Kunsthalle Darmstadt wiederum präsentiert einen Blick in die Werkstatt des Künstlers. Sie zeigt, wie Kirchner das vergleichsweise neue Medium Fotografie einsetzte und in künstlerischen Experimenten für seine Malerei und Grafik nutzbar machte.
Schon früh verwendete Ernst Ludwig Kirchner die Fotografie gleichermaßen dokumentarisch wie künstlerisch. Er dokumentierte beispielsweise Ausstellungen der "Brücke". Gleichzeitig inszenierte er scheinbar intime, authentische Blicke in das eigene Atelier. Diese arrangierten Atelier-Fotografien lassen sich als indirekte Selbstporträts mit neuen technischen Mitteln verstehen.
Als einer der ersten Künstler überhaupt erzeugte Kirchner vielsagende Dialoge und Oppositionen zwischen Malerei und Druckgraphik als klassischen Kunstgattungen und der Fotografie. So fotografierte er etwa seine berühmten Modelle neben seinen Skulpturen oder seinen malerischen Porträts. Kirchner inszeniert so einen vergleichenden Blick zwischen realer 'Vorlage' und fertigem Bild. Er legt sein persönliches System expressiver Stilisierung von Wirklichkeit offen. Gleichzeitig fordert er gerade durch die Gegenüberstellung mit der 'Realität' die Freiheit der Kunst von jedem traditionellen Gebot unbedingter mimetischer Treue.
Oft ließ sich Kirchner von Fotografien unmittelbar inspirieren. So entwickelte er beispielsweise bei Selbstporträts aus Schatten- und Lichtzonen in der Fotografie farblich verfremdete Zergliederungen der Physiognomie. Genauso komponierte er Figurenszenen - so die berühmten sinnlichen Darstellungen des Ehepaars Hembus von 1930 - nach den Hell-Dunkel-Verteilungen fotografischer Vorlagen.
Generell entwickelte Kirchner in den Gemälden ab den 1920er Jahren aus Kontrasten, Überbelichtungen und Überblendungen in der Fotografie ein Eigenleben von Licht, Schatten, Kontur und Farbe, die sich von den Bildgegenständen lösen. Es entstehen abstrahierte, flächige Darstellungen mit rätselhaften Bildräumen und neuen Freiheitsgraden. Für diese Bildmuster prägte Kirchner selbst den Begriff "Neuer Stil". In der Kunstgeschichte der Moderne wurde der Bruch in Kirchners Werk immer wieder diskutiert. Die Schau "Faszination Kirchner" legt offen, auf welche Weise Kirchner Experimente in der Fotografie nutzte, um seinen "Neuen Stil" zu entwickeln.