In einem relativen Bezugssystem, in dem der eigene Standpunkt als Vermessungszeichen – etwa als Nullpunkt – festgelegt ist, bezeichnet unter Grund ein Gebiet jenseits des festen Terrains, auf dem man verortet ist. Physikalisch zumeist in der Vertikale gedacht, eröffnet sich ein Spektrum von Assoziationen, die vom Straßenbau bis hin zur Untergrundbewegung reichen. Im metaphysischen Sinn ist die vektorielle Festlegung des Begriffs unter Grund nicht so eindeutig, wenn etwa “das Tor zur Unterwelt” sich in ein Bergmassiv hineinöffnet oder “einem etwas unter die Haut geht”.
Die fünf beteiligten hannoverschen Künstlerinnen und Künstler, denen die Kunsthalle Faust in der Ausstellungsreihe “Local Heroes” eine Plattform zur Präsentation aktueller Werke bereitstellt, begeben sich mit unterschiedlichen medialen Mitteln auf Exkursionen jenseits der vertrauten Oberfläche.
Pit Noack lebt in Hannover-Linden, wo er elektroakustische Musik produziert und Klang-Installationen entwickelt. Für die Kunsthalle Faust schafft er eigens eine Arbeit, bei der er seismische Signale einer antarktischen Mess-Station zur Ermittlung von Kernwaffen-Explosionen so aufbereitet, dass sie in einer auch optisch interessanten Klang-Installation für das menschliche Ohr hörbar werden. Die Signale aus der Unterwelt geben eine Ahnung von “Menschen gemachtem Schrecken”.
In seinem auf Holz gemalten, neuen Triptychon “Schattengabe” stellt Ingo Lie seine Protagonisten bildlich wie poetisch auf keinen festen Boden zwischen Himmel und Erde – und doch scheinen sie im Schatten des Untergrunds zu wurzeln. In seinen geheimnisvollen Bildern, Zeichnungen und Objekten thematisiert er immer wieder die Ambivalenz des Menschen zwischen Schöpfung und Zerstörung.
Das Arbeitsmaterial des Wahl-Lindeners Shige Fujishiro sind Perlen und Sicherheitsnadeln, die er zu Objekten zusammensteckt, deren materielle Präsenz von ihrer Balance aus Ästhetik und Fragilität bestimmt wird. Für sein “Taschen-Projekt” hat er Einkaufstüten bekannter Discounter-Marken detailgetreu als Perlen-Objekte dargestellt. In performativen Events, die er fotografisch dokumentiert hat, führt er seine Objekte zurück in den sozialen Kontext ihrer Plastik- und Papiertüten-Vorbilder, begibt sich in die Randzonen der Konsumgesellschaft und macht so die Verschiebung von Wertvorstellungen sichtbar. Die Werbeträger aus der Massenproduktion werden zu Ikonen ausgegrenzter Individualität am Rande des Abgrunds.
In ihrer Video-Arbeit “Bodenbilder” begibt sich Simona Pries, deren Atelier sich lange Zeit im leerstehenden Universitätsgebäude an der Wunstorfer Straße befand, auf Spurensuche in Hannovers Partnerstadt Leipzig. Die zumeist unbeachtete Bodenfläche eines Stadtraums eröffnet bei näherer Betrachtung eine narrative Perspektive jenseits der Fassade, geht zeitlich in die Tiefe und holt Ereignisse aus einer fernen Vergangenheit jenseits der Oberfläche in unser Bewusstsein.
Großflächig und subtil zugleich entwickelt die Malerin Sabine Wewer ihr narratives Bildgeschehen und lässt den Blick der Betrachter förmlich von der Bildoberfläche in die Vielschichtigkeit ihrer Werke abtauchen. Ihre künstlerische Arbeit gehorcht einer inhaltlichen Notwendigkeit, in der ein innerer Bildkosmos des Erinnerns durch aktuelle Kontextuierungen eine zeitgenössische Neuformulierung findet. So wird der “Weltinnenraum” im Gemälde “Walking under Ice” zum Außenraum.