Anhand von ausgewählten Beispielen aus der Sammlung der Heinrich Gebert Kulturstiftung beleuchtet die Ausstellung Positionen des Plastischen in der Bildenden Kunst der Gegenwart. In der Bildhauerei bezeichnet der Begriff „Plastik“ ein additives Formverfahren, das aus „bildsamen, weichen“ Materialien (Gips, Ton, Wachs, Metall etc.) eine Form aufbaut – im Gegensatz zur subtraktiven Vorgehensweise in der Skulptur, bei der von einem Material (Holz, Stein etc.) etwas weggenommen wird, um zur ästhetischen Form zu kommen. In einem weiteren, aus dem romanischen Sprachgebrauch abgeleiteten Sinne werden auch Zeichnung, Malerei usw. als „plastische Verfahren“ bezeichnet – bis hin zur heutigen kunstwissenschaftlichen Bedeutung, die transformative ästhetische Eingriffe in Räume, aber auch in gesellschaftliche Strukturen als „plastische Prozesse“ bezeichnet. Trotz formaler Unterschiede sind alle hier gezeigten Arbeiten eher einer traditionellen Auffassung des „Plastischen“ zuzuordnen. Exemplarisch führen die drei Gruppen künstlerische Möglichkeiten vor, die genutzt werden, um Dreidimensionalität zu erzeugen.
Gleichsam unmittelbar lesbar sind die plastischen und malerischen Werke von Markus Lüpertz, Selim Abdullah oder Hans Josephsohn, deren Anlass die menschliche Figur ist. Das „Mykenische Lächeln“ von Lüpertz, im ersten Augenschein eine Porträtbüste, belegt zugleich, dass diese Figurationen einerseits Sichtbares darstellen, andererseits aber auf Kunstgeschichte verweisen – Motiv ist zwar der menschliche Körper, Thema aber ist das genutzte Material und die ästhetische Methode. Abdullah und Josephsohn lassen – jenseits des ästhetischen Spiels – auch Existentielles aufleuchten.
Architektonisch wirken die Arbeiten von Eduardo Chillida und Matias Spescha. Auf je eigene Weise bauen sie Raumkörper, die mal wie archaische Tempelanlagen (Chillida), mal wie ein zeichenhaftes „Alphabet poétique“ virtueller Architekturen (Spescha) erscheinen. Beides sind allerdings keine Rekonstruktionen gesehener Bauwerke, sondern Beschäftigungen mit den Qualitäten des Ausgangsmaterials, der Balance zwischen Volumen und Leere, zwischen Dichte und Lichtigkeit etc.
Eine Sonderstellung nimmt die Arbeit von James Licini ein. Einerseits mutet sie wie modernste Architektur an (man denke an die Grande Arche in Paris; geplant von Johan Otto von Spreckelsen und Paul Andreu); andererseits ist es eine radikal minimalistische Plastik, die nichts ausser dem gegebenen Material formt, den Stahlträger VHP 80, und doch eine optisch-reiche Vielfalt erzielt.
Ähnliches gelingt Erwin Rehmann, Jochen Stenschke und Edmund Tucholski im jeweils eigenen Medium, Bronze und Messing, Graphit und Altöl sowie Aquarell. Bei diesen Kunstwerken wird neben den materialimmanenten Eigenschaften, beispielweise dem Fliessen des geschmolzenen Metalls, dem unaufhörlichen Ausdehnen des nie trocknenden Altöls oder der Transparenz der Aquarellschichten, der gestaltende Einfluss des Lichtes auf die endgültige Formfindung in besonderem Masse wirksam.
Im Aufbau der Ausstellung wollen wir aber auch die Korrespondenzen zwischen den verschiedenen künstlerischen Ansätzen aufleuchten lassen, die aus handwerklichem Können und konzeptueller Folgerichtigkeit Formen und Gestalten entstehen lassen, die konkret und assoziativ Wahrnehmungsfelder öffnen.