Le Corbusier baute 1952 in Marseille die Cité Radieuse – eines der einflussreichsten und umstrittensten Bauwerke der Moderne. Auf dem Dach dieser Stadt in der Stadt platzierte er einen Kindergarten, ein Ort mit phänomenalem Ausblick und eine Verbindung kindgerechter Planung mit der Radikalität des Beton Brut. Berufstätige Eltern und ihre Kinder wurden als integraler Bestandteil einer urbanen Infrastruktur verstanden und mit kurzen Wegen zu dem Betreuungsort auf dem Dach gewürdigt. Im Jahre 1969 wurde in Suhl, der thüringischen Bezirksstadt im südwestlichen Zipfel der DDR, ein modernes CENTRUM-Warenhaus eröffnet. Auf dem Dach hatten die Architekten einen betriebseigenen Kindergarten gebaut, der wie das Terrassencafé daneben in Blickwechsel mit den umgebenden Bergen und neu errichteten Hochhäusern trat.
Für die meisten Kleinkinder ist der Kindergarten der erste öffentliche Ort, an dem sie Gemeinschaft erproben und an dem sie sich die längste Zeit in der Woche aufhalten. Die Ausstellung „Das Haus spielt mit“ nimmt einen filmischen Essay von Anne König und Maya Schweizer zu den aus heutiger Sicht visionär wirkenden Dachkindergärten in Marseille und Suhl zum Ausgangspunkt, um weitere historische und gegenwärtige Entwürfe von Kindergärten des Neuen Bauens und der faschistischen Architektur mit den Mitteln der Kunst zu hinterfragen und zu kommentieren.
Von Architekten der Moderne, die ausgehend von der Reformpädagogik versuchten, das Neue Bauen, das Neue Lernen und auch das Neue Sehen miteinander zu verknüpfen (Franz Schuster, Margarete Schütte-Lihotzky) schlägt die Ausstellung einen Bogen zu wegweisenden aktuellen künstlerische Interpretationen.
Vom „Faschistischen Kindergarten“ (Till Gathmann) über Erziehung in der DDR (das Foto- und Sachbuch „Entwicklungswunder Mensch“ von Evelyn Richter und Hans-Dieter Schmidt) und idealtypische Entwürfe von und mit Kindern heute (Martin Schmidl, Olga Feger) bis hin zu Formen der prekären Betreuung von Kindern in „Kinderbewahrstuben“ heutiger Einkaufszentren (Ina Kwon) rückt der Blick der jeweiligen Zeit auf das Kind in den Mittelpunkt der Ausstellung. Exemplarisch werden so gesellschaftliche Wertvorstellungen und bestimmte Ideologien, die der Architektur wie auch den mit ihr verbundenen Erziehungskonzepten und Lebensentwürfen zugrunde liegen, beleuchtet.