Die deutsch-jüdische Fotografin Lore Krüger erlebte und überlebte Emigration, Widerstand, Verhaftung, Internierungslager, Verfolgung und Exil nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und während des Zweiten Weltkrieges. Ihre Kamera hatte sie immer dabei. So entstanden einzigartige, historische Dokumente zwischen intimen Privatfotografien, Auftragsarbeiten, Sozialstudien und abstrakten, fotografischen Experimenten. Ihre beeindruckenden Bilder geben nicht nur einen tiefen Einblick in das Leben europäischer Intellektueller im Exil, sondern auch einen seltenen, persönlichen Blick auf die politischen Ereignisse jener Zeit – jenseits schon bekannter fotojournalistischer Reportagen oder Propagandabilder der jeweiligen Kriegsparteien. Die Entdeckung des fotografischen Nachlasses Lore Krügers ist ein Glücksfall, der anhand ihres Schicksals einen neuen und unmittelbaren Zugang zur Zeitgeschichte ermöglicht.
Lore Krügers Fotografien sind dabei stark geprägt von der im Kontext des Bauhauses entstandenen Strömung des sogenannten Neuen Sehens, aber auch von den damaligen künstlerischen Strömungen wie Kubismus, Dadaismus und Surrealismus. Sie gehörte in Paris zu den Künstlern, die die Bildsprache vom rein reproduzierenden zu einem produzierenden Medium zu erweitern suchten. Als Schülerin der großen Fotografin und Bauhaus-Absolventin Florence Henri erlernte Lore Krüger in Paris das fotografische Handwerk sowie den freien, experimentellen Umgang mit diesem Medium. So experimentiert sie im Labor mit der Technik der Montage, des Fotogramms und der Mehrfachbelichtung. Schnell macht sie sich jedoch von den reinen, ästhetischen Studioaufnahmen ihrer Lehrerin unabhängig und wendet sich dem realen Leben auf der Straße zu. So entstehen unter anderem die Serie „Gitanes“ im Wallfahrtsort Sai! ntes-Mar ies-de-la-Mer und soziologische Reportagen über Provinz, Arbeiter und Bourgeoisie in Frankreich.
Nicht mehr nur Muse oder Modell sondern selbst Künstlerin – Lore Krüger steht mit ihrer Arbeit zudem für die neue, emanzipierte Stellung der Frau innerhalb der Avantgarde der 1930er und 1940er Jahre. Neben Künstlerinnen wie Sonia Delaunay, Hannah Höch, Florence Henri oder Claude Cahun gilt Lore Krüger mit ihren Fotografien als Pionierin der Bildenden Künste. Hinzu kommt ihre starke Politisierung durch die Ereignisse in Deutschland und ihre Erfahrungen im Exil. Sie hat regen Austausch mit den Intellektuellen der Zeit – Anna Seghers, László Radványi, Walter Benjamin und Alfred Kantorowicz. Zudem ist sie in New York aktiv an der Gründung der antifaschistischen Exilzeitschrift „The German American“ beteiligt, in der viele bekannte Schriftsteller veröffentlichen.