In Matt Mullicans Werk geht es um nichts Geringeres als um die Aneignung der Wirklichkeit, um die Beziehung zwischen den Dingen und ihrer symbolischen Darstellung, zwischen unmittelbarer Erfahrung und systematischer Ordnung, zwischen subjektiver Deutung und materieller Welt. Der 1951 in Kalifornien geborene Künstler, der heute in Berlin lebt und an der Kunsthochschule in Hamburg unterrichtet, begann sich schon früh damit zu beschäftigen, was die Bilder bedeuten, denen wir im Alltag begegnen. Was für eine Welt repräsentiert ein Bild, fragte sich Mullican. Was heisst es, wenn man auf die Darstellungskraft einer Comic-Zeichnung vertraut, sie wörtlich versteht und daraus eine mögliche Wirklichkeit konstruiert? Wie kann man begreifen, was darin geschieht, wie sieht die darin dargestellte Welt wirklich aus? In Zeichnungen begann Mullican eine fiktive Welt zu entwickeln und sie auf ihre Realitätshaltigkeit zu überprüfen.
Von diesen Arbeiten gelangte Mullican zu Weltmodellen, zu Kosmologien. Es ging ihm dabei nicht um ein gültiges Modell, sondern um das Modellieren selbst, um das Denken in Möglichkeiten, um das Entwerfen und nicht um das Behaupten. Eine Kosmologie in fünf Ebenen, die den Formen der Aneignung der Welt entsprechen, hat Mullican ausgearbeitet. Sie beginnt mit der Ebene der Elemente, der materiellen Dinge; darüber liegt die Ebene der Gegenstände, mit denen wir täglich zugange sind; im Zentrum des Modells liegt die Ebene der Künste, in der Bilder der Welt geschaffen werden. Es folgt die Ebene der Sprache, der abstrakten Wiedergabe der Dinge, und darüber liegt die Ebene des Subjektiven, das alle Ebenen auf seine Weise deutet. Dieses Modell hat Mullican in verschiedensten Medien durchgespielt – auf Glasfenstern, Steinplatten, Postern, Bannern, vom abstrakten Diagramm bis zur imaginären Stadt, in der sich der Betrachter bewegen kann.
Das Gegenstück zu diesen Spekulationen ist für Mullican das Festhalten von materiellen Spuren der Wirklichkeit. Das kann der Niederschlag des Lichts auf Photogrammen sein oder das Abformen von Gegenständen in Zinngüssen. Am bekanntesten sind Mullicans “Rubbings”: Seit über dreissig Jahren schafft er Bilder, die keine Gemälde oder Zeichnungen sind, sondern Abriebe von Vorlagen. Damit hat er eine Technik entwickelt, die seinen Gedanken entspricht, denn die Abriebe machen anschaulich, dass wir stets Abbilder, Kopien vor uns haben. Für ein umfangreiches neues Werk, The Meaning of Things, ging Mullican noch weiter und suchte Bilder in der grössten heute existierenden Bibliothek, im Internet.