„Was ist schön?“ ist eine der meistgestellten Fragen in der Kunst. Das Ideal der „Schönheit“ in der Kunst ist so ambivalent wie faszinierend. Anhand eines Dialoges von ausgewählten Arbeiten Wilhelm Lehmbrucks mit Skulpturen des französischen Bildhauers Auguste Rodin zeigt die Ausstellung, wie sich das Schönheitsideal und – damit verbunden – das Menschenbild im Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert verändern. Über den gesamten Wechselausstellungsbereich des Neubaus auf einer Fläche von über 1.100 m² spannt sich die Ausstellung und präsentiert Werke aus allen Schaffensphasen der beiden Jahrhundertkünstler.
Während im 19. Jahrhundert die Kunstproduktion im Zeichen des Akademismus und Neoklassizismus stand, wird seit der Moderne die Kategorie der „Schönheit“ in der Kunst zunehmend kritisch beleuchtet. Das „Schöne“ gilt nicht mehr als das „Wahre“ und „Gute“, sondern im Gegenteil als das „Schöngemachte“, „Schmeichelnde“ und daher „Unwahre“. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfährt der Begriff der „Schönheit“ damit eine prägnante Umdeutung, die Auguste Rodin so zusammenfasst: „Hässlich in der Kunst ist das, was künstlich ist; was hübsch oder schön zu sein versucht, ohne ausdrucksstark [‚expressif‘] zu sein […].“
Obwohl die zeitgenössische Kritik in der Beurteilung seiner Kunst gespalten ist, hat die Kunst Rodins auf die nachfolgende Künstlergeneration entscheidenden Einfluss. Auch der 41 Jahre jüngere Lehmbruck beschäftigt sich immer wieder mit Rodin und so finden sich motivische und formale Bezüge sowohl im Früh- als auch im Hauptwerk beider Künstler. Im Unterschied zu Rodin entwirft Lehmbruck eine Ästhetik, die auf einem neuen Verständnis von Proportionen beruht. Seine Formensprache ist klar und beruhigt und dennoch anti-klassisch. Ihm geht es vor allem um die Darstellung einer inneren Wirklichkeit, um das Erfassen eines Ausdrucks, dem Schaffen eines neuen künstlerischen Ideals jenseits tradierter Schönheitsvorstellungen. In der berühmten ‚gotischen’ Längung seiner Figuren ist das Verlangen erkennbar, eine neue Form für das Wesen des Menschen zu finden. Es geht Lehmbruck nicht um individuelle Ähnlichkeit, sondern um eine neue Vorstellung von Schönheit, die das Menschenbild der Moderne bis in die heutige Zeit prägt.
Mit der Jubiläumsausstellung nimmt das Lehmbruck Museum erstmals eine Neubewertung der Idee von Schönheit in einer auf Lehmbruck, Rodin und die Bildhauerei der Moderne fokussierten Ausstellung vor. Dabei entfaltet sich die Ausstellung nicht streng chronologisch, vielmehr wirft sie Schlaglichter auf die Momente, in denen sich eine Neuentwicklung abzeichnet. In pointierten Setzungen werden Werke von Zeitgenossen und jüngeren Künstlerinnen und Künstlern, unter ihnen Alexander Archipenko, Hans (Jean) Arp, Constantin Brancusi, Alfred Boucher, Camille Claudel, Berlinde De Bruyckere und Henri Matisse, den Arbeiten der beiden Hauptprotagonisten an die Seite gestellt.
Mit mehr als hundert Werken und Leihgaben aus nationalen und internationalen Museen wie dem Musée Rodin in Paris, dem Gemeentemuseum in Den Haag, der Hamburger Kunsthalle, der Pinakothek der Moderne in München und dem Centre Pompidou in Paris präsentiert die Ausstellung hochkarätige Leihgaben, die in dieser Zusammenstellung erstmals zu sehen sind. Die Ausstellung ist eine umfassende Würdigung des berümten Künstlersohns der Stadt Duisburg, der seine größten künstlerischen Erfolge zu Lebzeiten in Paris und den USA feierte. Sie geht der Frage nach, welche Qualitäten und Eigenheiten der Kunst es sind, die Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen, Gesellschaften und Altersgruppen heute in ihren Bann ziehen. Was ist es, das die Menschen vor den Werken Lehmbrucks und Rodins inne halten lässt, um ihrem Wesen nachzuspüren?
Die Ausstellung „Schönheit“ wird vom Landschaftsverband Rheinland (LVR), der Sparkassen-Kulturstiftung Rheinland, der Sparkasse Duisburg und vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Der ausstellungsbegleitende Katalog wird von der Ernst von Siemens Kunststiftung gefördert.