Als siebte Position der Ausstellungsreihe RICOCHET stellen wir die englische Künstlerin Anna Barriball vor. Barriball (geb. 1972 in Plymouth) sucht in ihren Werken nach den ways through, – nach Möglichkeiten, Wahrnehmung zu erweitern und Dinge hinter der Oberfläche sichtbar zu machen. Die Ausstellung, die vom 4. Juli bis 6. Oktober 2013 im zweiten Obergeschoss der historischen Villa Stuck zu sehen ist, präsentiert Arbeiten verschiedener Gattungen, die diesem Ansatz nachgehen.
Das Fensterbild ist als tradiertes kunsthistorisches Sujet Gegenstand Barriballs künstlerischen Ansatzes. Der oft flüchtige Blick durch Türen oder Fenster, der metaphorisch die Grenze zwischen Innen und Außen definiert, wird hinterfragt. Barriball schraffiert die Oberflächenstruktur von Art Déco-Fensterscheiben oder Türblättern mittels Frottage auf Papier. Durch das zeichnerische Einschreiben der Form, etwa in Sunset/Sunrise XI (2012) oder Silver Door with Fire Red (2011), entsteht ein Oberflächenrelief, welches die Durchlässigkeit des zugrunde liegenden Sujets verneint. Die Oberfläche selbst wird durch die starke, regelmäßige Zeichnung mit einem Bleistift in ihrer Materialität sichtbar. Durch die Schraffur entstandene Risse tragen zur Dreidimensionalität bei. Indem sie die Zeichnung mit Abstandshaltern im Rahmen schweben lässt und farbig hinterlegt, unterstreicht Barriball die ursprüngliche Funktion. Barriballs Abbild bleibt zwar eng am Dargestellten, doch ist die eigentliche Funktion, der Übergang zwischen Innen und Außen, damit der liminale Bereich, obsolet. »I’m interested in the confusion of being inside or outside, in a liminal space.« (Was mich interessiert, ist die Verwirrung, ob man sich innen oder außen zu befindet, in einem Raum des Übergangs.)
Der Ausstellungsraum selbst wird in dieser Weise erfahrbar. Die Fenster und Balkontüren der ehemaligen Wirtschaftsräume der von Franz von Stuck 1897/98 erbauten, historischen Villa bleiben geöffnet. Sie korrespondieren mit Barriballs gezeichneten Türen und Fenstern. Der Blick auf Stucks fensterlose Westfassade des Ateliergebäudes (1914/15) zeigt ein Dekor aus schlichten Rechteck-feldern, schwarz und ockerfarben, sie akzentuieren die horizontale und vertikale Gliederung des Hauses. Diese Farbfelder finden in Barriballs monochromen Zeichnungen ihre Entsprechung.
Ein weiterer Ansatzpunkt in Barriballs künstlerischem Werk ist die Erfahrung des Raumes. Copper Pipes (2011) und auch das skulpturale Objekt Untitled III (2008), das in Barriballs Worten eigentlich eine »Stehende Zeichnung« ist, erweitern poetisch und konzeptuell den elementaren Begriff des Zeichnens um den Aspekt des Raums. Beide Werke sind aus Papier, das sie zeichnerisch bearbeitet hat. Wie in ihren Wandarbeiten füllt die Zeichnung das Papier lückenlos und dicht aus. Die eigentliche plane Zeichnung wird zum Objekt. Ihr Interesse, die Grenzen von Material auszuloten, verweist auf den Einfluss von Eva Hesse. In der eigens für die Villa Stuck geschaffenen Wandzeichnung, ein Muster aus Punkten, wird die Wand selbst zum Objekt und der Raum neu wahrgenommen.
Der Herstellungsprozess der zeit- und arbeitsaufwendigen Zeichnungen ist Barriball ebenso wichtig wie die zeitliche Dimension in der Rezeption. Begriffe oder Werktitel wie Breath, Wind oder Light zeugen von ihrer Aufmerksamkeit gegenüber einer sensiblen Wahrnehmung von Zeitempfinden und -verlauf. Ein Windstoß kann die aus alten Tapeten hergestellten Blätter der Arbeit Untitled (2011) für den Betrachter neu ordnen. In der Videoinstallation Draw (Fireplace) aus dem Jahr 2005 verfolgt sie, wie ein Blatt, das vor einem viktorianischen Kamin hängt, durch die Zugluft »atmet«. Das poetische Bild zeichnet damit auf eigene Weise ein Bild der vergehenden Zeit.
Für die Villa Stuck hat Barriball zudem eine neue Videoarbeit entwickelt, die sich mit der erweiterten Wahrnehmung von Bild und Abbild auseinandersetzt. Als Videoloop nimmt der Betrachter mehrere Fotografien wahr, die Barriball in der Nacht durch die Fenster des Ausstellungsraums aufgenommen hat. Durch den Einsatz des Autofocus hatte Barriball keinen Einfluss darauf, welche Stelle oder welches Objekt die Kamera scharf stellt. Es entstehen kurze Momentaufnahmen, die verschwommen und auratisch wirken. Präsentiert werden diese Aufnahmen in schneller Abfolge auf einem Monitor. Es ergeben sich Assoziationen, die von der subjektiven Wahrnehmung geprägt sind: »I wanted to create an awareness of looking, a moment of recognition that goes beyond the literal.« (Mir liegt daran, eine Aufmerksamkeit für Wahrnehmung zu entwickeln, einen Moment der Erkennens, der über das Offensichtliche hinausgeht.)