24.11.2009 - 14.02.2010
Das deutsche Nationalbewußtsein ist eines der eher am Rande tangierten Themen dieser Wochen. In der Euphorie der Feierlichkeiten, je nach Blickwinkel der Wende oder der Wiedervereinigung, wurde wieder sehr schön sichtbar, daß die Produktion von Mythenerzählungen zur Schaffung von Gruppenidentitäten schlicht dazugehört.
Mit dem Künstler Moritz Götze aus Halle an der Saale stellen wir in der Neuen Sächsischen Galerie pointierte Auseinandersetzungen mit Gründungsmythen der Deutschen, ihren alten sagenhaften Erzählungen, den "großen" Kriegstaten des 20. Jahrhunderts, schlicht dem nationalen Märchen vor. Es scheint vorwiegend ein Märchen der siegreichen Gewalt zu sein. Germanen am Teutoburger Wald, Bismarck der eiserne Kanzler, Moltke in Sedan, Kaiser Wilhelm, die Flotte in Scapa Flow und die Quadriga.
Ein zentrales Werk in der Ausstellung ist die große Installation "Victoria" aus fast 800 Teilen. Gemacht für die "Ewigkeit" in quasi unzerstörbarer Emaille und damit noch nach Jahren frisch wie am ersten Tag. Boden und Wand nehmen die Teile auf, ein Tempelberg und sein Fundament. Die Siegesfeier der Marktgesellschaft schließt alles ein, was uns für den Sieg hat lieb und teuer und unverzichtbar werden müssen. Und den Segen der Kirche gibt es selbstverständlich auch dazu. Der unmittelbare Bezug zu historischen Bildvorlagen aus der Zeit der Reichsgründung zeigt Götzes Perspektivwechsel. Aus dem Anton von Wernerschen Bild des Triumphes über den Erzfeind Frankreich übernimmt er die Komposition, aber den heroischen Ton trifft er nicht mehr. Der glorreiche Mythos zerbricht unter seinen Händen an der Ausbreitung von Erzählmaterial. Ein Motiv wandelt sich. Das blutige Fundament dieses Sieges wird sichtbar.
Götzes Bilder stellen die kunstgeschichtliche Gattungslehre seit der Renaissance auf den Kopf. Er formuliert die großen Themen des Historienbildes mit den Mitteln des Genrebildes. Er verweigert den hohen Ton und dient damit der Aufklärung und der
Unabhängigkeit der Kunst. Seine Arbeiten verweigern strukturell die Indienstnahme der Kunst für Repräsentation als Maskenparade.
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