Blick passt das nicht so recht zusammen. Schließlich lag das heutige Gebiet der Universitätsstadt in der Antike außerhalb des Römischen Reiches – wenn auch nur wenige Kilometer.
Und doch hat der Landkreis Gießen in den Kommunen Pohlheim, Langgöns, Linden, Lich und Hungen auf insgesamt 23,4 km Anteil am mit 550 km Länge größten archäologischen Bodendenkmal Deutschlands: dem Obergermanisch-Rätischen Limes des Römischen Reiches. Dieser zählt seit dem Jahr 2005 zum Welterbe der UNESCO. Damit stehen die zwei Kastelle (Arnsburg, Inheiden), sechs Kleinkastelle (Holzheimer Unterwald, Hainhaus, Langsdorf, Feldheimer Wald, Wingertsberg, Massohl) sowie die bislang 26 bekannten Wachtturmstellen in diesem Abschnitt auf einer Stufe mit Denkmälern wie den Pyramiden von Gizeh oder der Chinesischen Mauer. Neben der Bewahrung dieser Welterbestätten im Gießener Land stellt die Vermittlung von Informationen zur Geschichte der römischen Reichsgrenze eine der zentralen Aufgaben dar.
Zum Ausklang des 10-jährigen Jubiläums der Verleihung des Welterbestatus präsentiert das Oberhessische Museum Gießen in Zusammenarbeit mit der hessenARCHÄOLOGIE (Wiesbaden) und Studierenden des Instituts für Altertumswissenschaften und Klassische Archäologie der Justus-Liebig-Universität Gießen diese Ausstellung.
Dabei werden vor allem Ausstellungsstücke aus den Sammlungsbeständen des Oberhessischen Museums gezeigt. Einige Exponate sind zum ersten Mal zu sehen. Dazu kommen Leihgaben renommierter hessischer Museen wie dem Landesmuseum Darmstadt, dem Archäologischen Museum Frankfurt a. M. oder dem Römerkastell Saalburg.
Mit Hilfe der archäologischen Funde bietet die Ausstellung ein detailreiches und lebendiges Bild des Lebens auf beiden Seiten des Limes im Gießener Land. Der Griff eines Rasiermessers in Form eines Löwen und Fragmente einer kleinen Venusstatuette aus Inheiden, Wandmalerei-Fragmente aus Arnsburg, ein Schildbuckel und ein Münzschatz aus Holzheim oder ein Bronzeeimer mit Inschrift aus der Lahn – für die Besucher gibt es Überraschendes und Kurioses aus rund 200 Jahren römischer Herrschaft in der Region zu entdecken. So sieht man auf einer Tonscherbe das älteste bekannte „ABC“ des Gießener Landes oder die Inschrift auf der Mantelspange eines Jungen, in der gar ein antiker Halbgott dafür bat, dass sie auch funktionieren sollte. Doch nicht nur das Leben auf der „römischen Seite“ der antiken Grenze kann man in der Ausstellung entdecken: Die Besonderheit des Gießener Landes ist die Existenz germanischer Siedlungen in unmittelbarem Vorfeld des Limes - ein bis heute einzigartiger Befund am Obergermanischen Limes! Keramik und Tracht dieser Siedler entsprechen denen der Chatten, einem germanischen Volksstamm, dessen Wohngebiete eigentlich weit entfernt vom Limes im nördlichen und östlichen Hessen lagen. In Gräbern dieser Germanen im ehemaligen Gießener Stadtwald entdeckte man zahlreiche Erzeugnisse römischer Werkstätten. Das weist auf enge Kontakte dieser Gruppe zum römischen Reichsgebiet hin. Man versuchte sich sogar bereits vor über 1.800 Jahren im Kopieren hochwertiger Importe – freilich nicht immer mit dem gewünschten Erfolg!
Tatsächlich stellte der Limes zu keiner Zeit eine unüberwindliche Grenze dar. Zahlreiche Übergänge erlaubten das Passieren unter Aufsicht der römischen Armee. Somit bildete die Grenze auch eine Kontaktzone verschiedener Kulturen. Dieser für die Region prägende Aspekt bildet einen Schwerpunkt der Ausstellung.
Ergänzt werden die zahlreichen originalen Fundstücke durch Mitmach-Stationen, eine eigene Homepage www.loewe-von-inheiden.de, auf die auch in der Ausstellung selbst zugegriffen werden kann und einer Spielecke mit römischen Spielen – nicht nur für Kinder. Bücherpulte zum Thema „Römer und Limes“ bieten Lesestoff für Altertumsforscherinnen und - forscher jeden Alters.