"Das Wunder in der Schuheinlegesohle" ist die größte Berliner Präsentation der Sammlung Prinzhorn seit 35 Jahren. Mit einer Auswahl von rund 120 Meisterwerken gibt die Ausstellung einen beeindruckenden Überblick der von Hans Prinzhorn zusammengetragenen Sammlung, auf deren Grundlage er 1922 sein Buch "Die Bildnerei der Geisteskranken" publizierte.
Im Auftrag der Heidelberger Psychiatrischen Universitätsklinik entstanden, avancierte das Buch rasch zur Bilderbibel der zeitgenössischen Kunstwelt. Hans Prinzhorn, selbst promovierter Kunsthistoriker und Arzt, entwarf in ihm eine allgemeine Theorie der Gestaltung, die sich mit den psychischen "Wurzelbereichen" des Schöpferischen auseinandersetzte - ein Thema, das auch die Künstler der Zeit stark beschäftigte. Expressionisten wie Ernst Ludwig Kirchner oder Künstler im Umkreis des "Blauen Reiter" wie Wassily Kandinsky oder Paul Klee waren an der emotionalen und seelischen Komponente des Künstlerischen ebenso interessiert wie der Spätsymbolist Alfred Kubin oder die Surrealisten.
Die Surrealisten - die im Zentrum der Sammlung Scharf-Gerstenberg stehen - haben den Wahnsinn gar zu einem ihrer Ideale erklärt: 1924 pries ihr Wortführer André Breton im "Ersten Manifest des Surrealismus" die alles überwindende Kraft des Wahnsinns, und 1928 stellte er die Begegnung mit der Schizophrenen "Nadja" in den Mittelpunkt eines gleichnamigen Romans. Salvador Dalí erfand die "paranoisch-kritische Methode", die wahnhafte Phänomene als Mittel "irrationaler Erkenntnis" nutzte.
Der Umstand, dass alle historischen Werke der Sammlung Prinzhorn ohne den Einfluss von Psychopharmaka und fernab jeglicher therapeutischer Maßnahmen entstanden sind, trägt bis heute zu ihrer besonderen Faszination bei. Sie erzählen uns von den Versuchen, mit den Mitteln der Imagination Kontrolle über eine aus den Fugen geratene Welt zu erhalten. Die Welt wird gedeutet, Nachrichten werden empfangen und weitergeleitet, alte Ordnungen zerstört und neue geschaffen, Unheimliches gebannt, Visionen erklärt. Hier sind große Geschehnisse wie die Feldzüge Napoleons ebenso bedeutsam wie die Schweißflecken in einer Schuheinlegesohle.