19.04.2012 - 17.06.2012
Die Schirn Kunsthalle präsentiert die eigens für deren Außenbereich konzipierte neue Arbeit „Framework“ der deutsch-iranischen Künstlerin Bettina Pousttchi. Ähnlich wie bei der viel beachteten Installation „Echo“ (2009/10) in Berlin, wo Pousttchi an der Fassade der Temporären Kunsthalle den kurz zuvor abgerissenen Palast der Republik in Form einer monumentalen Fotoinstallation auferstehen ließ, wird ihre Frankfurter Arbeit großflächig auf die Fassade des Hauses appliziert. Für „Framework“ entnimmt Pousttchi die Fachwerkelemente zweier Gebäude am Frankfurter Römer aus ihrem Zusammenhang der ursprünglichen Fassade und rekombiniert sie in jeweils 1x1 Meter messenden Modulen zu einem Ornament, das sich unendlich wiederholt und die Gesamtansicht der Schirn harmonisch rhythmisiert. Die großflächigen Fotoinstallationen der Künstlerin erweitern das traditionelle Verständnis von Fotografie, indem sie Architektur und Fotografie miteinander verbinden. Sie thematisieren die Frage nach dem Umgang mit dem urbanen Raum und der Erinnerung sowie nach der zeitlichen Dimension von Architektur.
Bettina Pousttchi, geboren 1971 in Mainz, lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte an der Kunstakademie Düsseldorf und ist Absolventin des Whitney Independent Studio Program in New York. Ihre Fotoarbeiten, Videos und Skulpturen werden seit Ende der 1990er-Jahre international ausgestellt, unter anderem in Gruppenausstellungen im TENT Rotterdam, in der Lewis Glucksman Gallery, Cork, dem Martin-Gropius-Bau, Berlin, dem Museum on the Seam, Jerusalem, der Kunsthalle Detroit, dem Centro Cultural Recoleta in Buenos Aires sowie der Schirn Kunsthalle Frankfurt in Rahmen der Ausstellung „Die Jugend von heute“ (2006). Neben Einzelausstellungen in der Von der Heydt-Kunsthalle Wuppertal (2007), der Temporären Kunsthalle Berlin (2009) und der Kunsthalle Basel (2011) nahm Pousttchi 2003 und 2009 an der Biennale in Venedig teil.
In ihren Arbeiten reflektiert Bettina Pousttchi urbane und gesellschaftliche Veränderungen unserer Zeit. Ihre Fotografien, Filme, Skulpturen und Installationen machen die fundamentalen Veränderungen der Stadtlandschaft erfahrbar. So ließ sie mit „Echo“ (2009/10) über einen Zeitraum von sechs Monaten den Palast der Republik in Form einer aus 970 Papierpostern bestehenden Fotoinstallation an der Fassade der Temporären Kunsthalle Berlin wiederauferstehen. Das Staatsgebäude der DDR war kurz zuvor nach nur 30 Jahren entfernt worden, um Platz zu schaffen für die Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses, das wiederum 1950 abgerissen wurde. Mithilfe von Architektur installierten so drei politische Systeme innerhalb von weniger als sieben Jahrzehnten am Schlossplatz ein Symbol für ihre jeweilige Gegenwart. Die Künstlerin führte vor Augen, wie schnell Architektur die ihr zugeschriebene Bedeutung verlieren kann und hinterfragte, wie ein Ort wahrgenommen wird, der im kollektiven Gedächtnis verankert ist, und welche Rolle dokumentarische Fotografie zwischen persönlicher Erinnerung und offizieller Geschichtsschreibung spielt.
Eine ähnlich komplexe Situation bietet sich der Künstlerin nun als Ausgangspunkt bei der Gestaltung der Fassade der Schirn Kunsthalle. Auf dem unmittelbar benachbarten Areal zwischen Dom und Römer wird derzeit die zerstörte Altstadt teilweise rekonstruiert. Ein über Jahrhunderte homogen gewachsenes städtebauliches Gefüge wurde zu großen Teilen im Zweiten Weltkrieg zerstört; erhaltene bzw. teilzerstörte historische Bauten wurden abgetragen und in den 1970er-Jahren durch das Technische Rathaus ersetzt. Der massive Betonbau mit seiner zeittypischen Architektur sollte nur 35 Jahre Bestand haben. Nun sollen einzelne historische Bauten rekonstruiert und in Einklang mit Neubauten gebracht werden, die sich in ihren Kubaturen und Materialien historischen Bauformen anzunähern haben.
Damit einhergehen grundsätzliche Fragen: Welche Geschichte wird hier zu welchem Zweck und von wem rekonstruiert? Wie lang ist die Halbwertszeit von Architektur, und wer entscheidet darüber, wann diese endet?
Bettina Pousttchi greift Fragen dieser Art mit ihrer monumentalen Fotoinstallation „Framework“ auf, bietet aber auch einen Kommentar zum Gebäude selbst, dessen Fassade sie bespielt. Die Schirn ist ein postmoderner Bau, der 1986 eröffnet wurde und das Areal Dom-Römer zum Main hin abschließt. Für „Framework“ hat Pousttchi Bildarchive gesichtet und über ein Jahr lang die Schirn und ihre unmittelbare Nachbarschaft fotografiert. Dabei hat die Künstlerin bestehende Fachwerkelemente zweier nahe gelegener Fachwerkhäuser am Römerberg – der Häuser „Schwarzer Stern“ und „Wertheym“ – aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang genommen und mit einer an orientalischer Ornamentik angelehnten, repetitiven Struktur neu kombiniert. Der daraus entstandene schwarz-weiße Fries wird mit fotografischen Drucken auf die 64 Fenster der Schirn-Rotunde sowie auf die 67 Fenster der gesamten Ostfassade der Kunsthalle appliziert. Das Haus „Schwarzer Stern“ stammt mit seiner fensterreichen Fassade und dem üppigen Fachwerkschmuck ursprünglich aus den 1650er-Jahren. Wie die meisten Gebäude der Altstadt wurde auch der „Schwarze Stern“ bei den Bombenangriffen 1944 zerstört und zusammen mit der Ostzeile des Römers, dem Samstagsberg, 1983 rekonstruiert. Dagegen gehört das „Haus Wertheym“ zu den wenigen Bauten, die die Bombenangriffe überstanden haben.