06.05.2012 - 01.07.2012
Die polnische Künstlerin Dorota Buczkowska (1971 in Warschau geboren) arbeitet mit Materialien, die in der zeitgenössischen Kunst ungewöhnlich sind und auch in der Kunstgeschichte keine Tradition haben. Ihre im Skulpturenmuseum Glaskasten gezeigten Skulpturen sind aus Wolle, Stoff und Gummi, und bei den Papierarbeiten benutzt sie verschiedene Lippenstifte, Hauttönungen oder Eyeliner als Farbe. Die ölhaltigen Bestandteile dieser Malmittel, die auf das unbehandelte Papier aufgetragen werden, lässt das Zeichenpapier durchscheinend werden.
Die benutzten Materialien führen unwillkürlich zu der Frage, ob es sich bei Buczkowskas Kunstwerken um feministische Kunst handelt oder mindestens um einen spezifisch weiblichen Ansatz. Diese Frage wäre leichter zu beantworten, wenn ihre Themen immer eindeutig einzuordnen wären. Eine Gruppe schwarzer Objekte ist aus grober Wolle gestrickt, sie sind eigentlich abstrakt, aber Assoziationen an Tiere stellen sich schnell ein, ohne dass man sagen könnte, um welche Tiere es sich denn handelt. Tiere sind von Menschen schon seit der Steinzeit nachgebildet worden, in den vergangenen Jahrzehnten aber nicht mehr sehr häufig, neben menschlichen Figuren hat Stephan Balkenhol immer wieder Tiere geschnitzt. Und als Beispiel für eine Bildhauerin, die sich intensiv mit Tieren beschäftigt hat, steht Renée Sintenis weitgehend allein im 20. Jahrhundert.
Auch die Materialien geben nicht wirklich Anlass zu vorschneller Einordnung. Rosemarie Trockel hat Wolle an prominenter Stelle in der zeitgenössischen Kunstgeschichte genutzt, doch sind ihre maschinengestrickten großformatigen Leinwandbilder weit von Buczkowskas Objekten entfernt. Anders sieht es natürlich mit dem Einsatz von Schönheits- und Schminkmaterialien als Malmittel aus, auch eine weibliche Themenwahl und Formenwelt ist in den DIN-A4 – großen weitgehend abstrakten Blättern erkennbar, aber feministische Kunst ist es sicher nicht. Vielleicht ist jedoch schon die Frage anachronistisch, denn in diesen Kategorien lässt sich die heutige Kunstproduktion fast nie mehr sinnvoll einordnen.
Die vielleicht eigenwilligste Installation in der Ausstellung jedoch besteht aus einer großen Zahl von eiförmigen grauen Kugeln, die von einer gummiartigen Oberfläche umschlossen werden. Sie heißt „Interror“, ein Wort, das es in keiner Sprache gibt – es ist eine Mischung aus dem englischen „terror“ und „interior“. Im Zusammenhang mit Buczkowskas plastischer Installation könnte man dieses Kunstwort mit einer „aus dem Inneren kommenden Explosion“ übersetzen, denn im Laufe der Ausstellung wird die dünne gummiartige Oberfläche explosionsartig reißen und verschiedene Stofffüllungen freigeben.
Aber Buczkowska ist vorsichtig, Sinn zu suggerieren, und wenn es keine klare Vorstellung des Gesehenen gibt, springt die Vorstellungskraft in die Bresche. Die Künstlerin dringt ein in den Raum zwischen dem, was sich anfassen, eindeutig einordnen lässt und dem nur Vorgestellten. Die Installation „Interror“ lässt sich als ein politischer Kommentar lesen, eine solche Sichtweise ist jedoch nicht zwingend. Sie entwickelt ihre Wirkkraft auf der schmalen Grenze zwischen der inneren, privaten und der Außenwelt. Fast alle von Buczkowskas Arbeiten haben zwei sich widersprechende Bedeutungsebenen, was zu einem unspezifischen Unwohlsein beim Betrachter führen kann, aber auch ein Kriterium für Zeitgenossenschaft darstellt und deswegen für die Relevanz heutiger Kunst von großer Bedeutung ist.