Zu Lebzeiten sind Künstler Autoren ihres Werks und steuern damit häufig selbst dessen Rezeption. Aber was passiert, wenn der Künstler in jungen Jahren stirbt und die Welt mit der Vorstellung vom unvollendeten Werk alleine lässt? Dann sind es häufig andere Faktoren, die das Nachleben des künstlerischen Œuvres – gerade im Spannungsfeld nach dem frühen Tod – bestimmen. Hier wirken Kräfte von außen ein, die unterschiedliche Erfolgsgeschichten schreiben. Die Ausstellung „Nach dem frühen Tod“ in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden zeigt anhand von zahlreichen Fallbeispielen diese posthumen Möglichkeiten von Strategien des Außen in den letzten einhundert Jahren auf.
Als Prototyp des leidenden Künstlers der Moderne gilt Vincent van Gogh, der zu Lebzeiten, wie gerne kolportiert wird, kaum ein Gemälde verkaufte. Sinnbildhaft erscheint sein Leben, dass er im Juli 1890 mit einem selbst zugefügten Brustschuss beendete. Seither hat sich die Nachfrage nach seinen Werken stetig erhöht und damit Gründe zum Verständnis für ein Leben geschaffen, das sich wie ein mythisches Modell darbietet. Die Arbeiten van Goghs werden aber nicht nur in Museen ausgestellt, sondern sind ebenso in zahlreichen Museumsshops erhältlich: Als Krimskrams wie Tassen, Schirme oder Kalender mit seinen Motiven. Sie stehen beispielhaft für die Vermarktung des Œuvres nach dem frühen Tod. Unsere These lautet, dass sich seitdem ein Muster etabliert hat, mit dem Werke nach dem Tod der Künstler auf eine spezifische Art und Weise stilisiert werden können.
Welche unterschiedlichen strategischen Instrumente es zur Stilisierung eines Mythos und dem unvollendeten Werk gibt, ist dabei eng an die Künstlerauswahl dieser Ausstellung gekoppelt. Sei es der Geniekult, der häufig die Rezeption auf den Kunstmärkten bedingt, allen voran auf dem secondary market, und für den die Lieblinge der New Yorker Kunstszene der 1980er Jahre wie Jean-Michel Basquiat oder Keith Haring stehen. Die Bedeutsamkeit der Werke von Künstlerinnen wie Eva Hesse oder Ana Mendieta werden vermehrt innerhalb eines institutionellen Rahmens gewürdigt. Ebenso wichtig ist die Funktion der Medien, die ihrerseits die breite Öffentlichkeit informieren. So sind Künstler wie Christoph Schlingensief oder Dash Snow vor allem zu polarisierenden und schillernden öffentlichen Personen geworden, die im Zusammenspiel mit ihren Werken provozierten. Gerade nach ihrem Tod werden sie von den Medien zu einem in sich geschlossenen einheitlichen Bild stilisiert. Etwas Mysteriöses haftet dem Tod des niederländischen Künstlers Bas Jan Ader an, der anläßlich seiner Performance „In Search of the Miraculous“ auf See verschwand und danach zunächst als artist's artist bekannt war.
Diese und zahlreiche weitere Künstler, wie Gerhard von Graevenitz, Michel Majerus oder Francesca Woodman, werden mit emblematischen Werken in der Ausstellung zu sehen sein, um die diversen Arten des unvollendeten Werks aufzuzeigen. Dem ästhetischen Genuss wird die Wirkmacht von kritischer Biografie und Rezeptionsgeschichte und den Umständen eines frühen Todes der beteiligten Künstler gegenübergestellt. Anders als im Museum, wo man häufig als Betrachter nicht mehr diese Tatsache reflektiert, wird die teilweise unmittelbare Zeitgenossenschaft der ausgestellten Werke in unserer Ausstellung auf tragische Weise ersichtlich.
Die Tatsache, dass eine öffentlichen Institution wie die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden mit in den Kreislauf dieser Wertschöpfungskette des künstlerischen Werks eingebunden ist, wird ebenso in der Ausstellung reflektiert.