Was ist Europa? Gibt es eine Europäische Identität? Ist Europa ein Ort oder vielmehr eine Idee, wie Bernard-Henri Lévy behauptet. Können wir Europa als einen politischen und kulturellen Körper betrachten, der aus der Summe seiner Einzelteile besteht, und somit aus zahlreichen individuellen Identitäten? Oder müssen wir Europa als singuläre Identität verstehen, damit es eine Zukunft hat? In der Ausstellung gehen junge Künstler/innen aus verschiedenen Europäischen Ländern eben dieser Frage nach. Sie alle bringen ihre individuellen Ansichten und Identitäten ein, um Europa als ihren Lebensraum zu diskutieren. Mit den Mitteln der Fotografie, Videokunst, Installation und partizipatorischen Ansätzen lassen die Künstler/innen den Betrachter teilhaben an der Frage wie viel Spanier, Franzose, Deutscher oder Rumäne von einem Individuum bleibt inmitten einer europäischen Konstruktion mit offenen Grenzen und vermeintlich unerschöpflichen Möglichkeiten. Im Kulturzentrum „Matadero“ in Madrid haben sich im Mai/Juni 2013 sieben Künstler/innen aus Spanien, Deutschland und Frankreich während einer 2-wöchigen Residenz intensiv mit der Fragestellung auseinandergesetzt. Das Ergebnis dieser Residenz waren sechs neue raumgreifende Installationen, die den Grundstock für die Madrider Ausstellung bildeten. Dazu kamen 13 Werke von 12 Europäischen Künstler/innen aus insgesamt 10 verschiedenen Ländern, die sich auf intelligente und analytische, aber auch humorvolle und ergreifende Weise mit dem Phänomen Europa als ihre Heimat befassen und so verschiedene Aspekte wie Ökonomie, Kultur, Tradition, Sprache und soziale Gesellschaft verhandeln.
In der Städtischen Galerie Bremen wird die Ausstellung neu präsentiert. Es kommen neue Werke und weitere Künstler dazu, um den Blick auf das sich stetig wandelnde Europa aktuell zu halten. Kraftvolle Bilder für eine menschliche Gesellschaft findet etwa der Italiener Filippo Berta in seinem Video Homo Homini Lupus. Die Wölfe als Sinnbild für Individuen stellen ihre Macht unter Beweis indem sie unerbittlich um die Flagge – hier als Symbol für territoriales Abgrenzen – kämpfen. Marco Godoy aus Spanien löscht die individuelle Prägung der Euromünzen aus und markiert damit die Aufhebung von Grenzen in unserem Europäischen Raum.
Das deutsch/französische Künstlerduo Türkowsky/Florenty vermittelt basierend auf europäischen Märchen seine Sicht auf die Problematik der Konstruktion Europas und ist dabei durchaus kritisch. Fabian Reimann ruft das kollektive Bildgedächtnis auf den Plan. Die verschiedenen Gesichter ehemaliger Präsidenten der europäischen Länder, die heute nicht mehr existieren, dürften individuelle Erinnerungen, je nach Herkunft des Betrachters, auslösen. Ciprian Muresan aus Rumänien befasst sich mit der jüngsten Geschichte seines Heimatlandes und versucht diese in einen globalen, soziopolitischen Kontext zu stellen. Sein gegen sich selbst protestierender Protagonist untersucht auf ironischem Weg die Verzahnung von Individuum, Gesellschaft und Macht und reflektiert die ehemals für das Land enorm wichtigen Massenproteste.
Die vielfältigen Betrachtungsweisen der Künstler/innen bestätigen die enorme Individualität und Eigenständigkeit der Bewohner Europas. Sie anerkennen, dass Europa nur auf Basis eben jener Persönlichkeit und Originalität prosperieren und nachhaltig bestehen kann.