Während der Zeit der »Brücke«-Jahre hat Erich Heckel in seinem Werk eine einzigartige Sicherheit in der schnellen Erfassung des Wesentlichen erworben. Ein ausgewogenes Spannungsverhältnis von Genauigkeit und Spontaneität bestimmt seine Zeichnungen und Aquarelle. Die meisterhafte Beherrschung der künstlerischen Techniken ging im Schaffen Heckels mit einer immer stärkeren Vereinfachung und Verdichtung seiner Formensprache einher. Im Gegensatz zu Ernst Ludwig Kirchner etwa, dessen Zeichnungen beinahe tagebuchartigen Charakter haben, sucht Heckel sein Werk immer in einen größeren Zusammenhang einzubinden, der den Moment übersteigt und die Essenz der Bildidee visualisiert.
Die erste Lebensphase, die das künstlerische Schaffen Erich Heckels entscheidend prägt, ist die Zeit von 1905 bis1913, als der junge Künstler gemeinsam mit seinen Malerfreunden in der Künstlergruppe „Brücke“ wirkte. Die „Brücke“ revolutionierte mit ihrer Sehnsucht nach Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit die Welt der Kunst nachhaltig und hinterließ bedeutende Werke des deutschen Expressionismus.
Nach dem ersten Weltkrieg, den Erich Heckel als Sanitätssoldat mit all seinen erschütternden Erfahrungen in Flandern, vor allem in Ostende erlebte, löst sich die trübe Stimmung der Blätter, die in den Kriegsjahren entstanden, auf. Der Künstler ist nun häufig unterwegs, er reist und malt: die Ostseeküste, die Alpen, reizvolle Städte und Landschaften in Deutschland und in Europa. Es entsteht ein Werk von großer Breite und Aussagekraft, das im Schaffensrhythmus den künstlerischen Neigungen Heckels voll entspricht: In den Sommermonaten sucht er seine Bildmotive vor der Natur, hält sie in Zeichnungen fest und verarbeitet diese Ausbeute im Winter in seinem Berliner Atelier zu Aquarellen oder Gemälden.
Gegen Ende der 1920er Jahre lässt Erich Heckel seine expressionistische Ausrichtung hinter sich und wendet sich nun klassischen Form- und Farbharmonien zu. Dennoch wird der Künstler von den nationalsozialistischen Machthabern mit Ausstellungsverbot belegt und zieht sich in die „innere Emigration“ zurück. Über 700 seiner Werke werden in deutschen Museen beschlagnahmt, 15 davon werden1937 in der propagandistischen Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt.
Als 1944 Heckels Berliner Atelier und etliche seiner Werke dem Bombenkrieg zum Opfer fallen, verlegt er seinen Wohnsitz nach Hemmenhofen an den Bodensee. In der Nachkriegszeit wird Erich Heckel rehabilitiert, erhält eine Professur an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe und wird nun als Protagonist der „Klassischen Moderne“ gefeiert und durch bedeutende Ausstellungen geehrt.
Erich Heckels Werk ist in allen Schaffensphasen von der „Kraft der Linie“ geprägt. Die Linie bestimmt den Grundton seines gesamten künstlerischen Werks, nicht nur in seinen Zeichnungen, sondern auch in Aquarellen und Gemälden. Die Zeichnung ist dabei für Heckel der schöpferische Ausgangspunkt, von dem aus sich auch Aquarelle und Gemälde in ihrem inneren Zusammenhang entwickeln.
Die Zeichnung entsteht zunächst als spontaner Entwurf vor dem Motiv, als erste Bildidee, der dann die gedankliche Weiterentwicklung und eigentliche Ausgestaltung folgt, die häufig nicht mehr vor der Natur, sondern im Atelier stattfindet. Dieses prozesshafte Vorgehen spiegeln Heckels Werke mit ihrer meisterhaften Verbindung von Spontaneität und Genauigkeit wider. Wie akribisch Heckel dabei vorging, zeigen Kürzel für Farbangaben, die der Künstler häufig in seine Entwurfszeichnung aufgenommen hat und die in einigen Werken noch zu sehen sind.
Neben reinen, eigenständigen Zeichnungen, die zu Erich Heckels bedeutendsten Leistungen zählen, experimentierte der Künstler mit unterschiedlichen zeichnerischen Mitteln, die er in diversen Kombinationen zusammenführt. So finden sich Aquarelle über Bleistiftvorzeichnungen, aber auch verschiedenfarbige Farbstiftvorzeichnungen mit späterer Aquarellüberarbeitung, oder Tuschevorzeichnungen, die mit Farbstiften akzentuiert werden.
Die Ausstellung versammelt 65 Werke aus der Sammlung Hermann Gerlinger und ermöglicht einen Überblick über alle Stationen der künstlerischen Entwicklung Heckels., Sie erstreckt sich über sechs Jahrzehnte, angefangen von den expressionistischen Bildfindungen der »Brücke«-Zeit mit den Arbeitsaufenthalten an den Moritzburger Teichen, über die Stadt- und Meerlandschaften der 1920er Jahre bis hin zu Zirkusdarstellungen, den Stillleben sowie den Berglandschaften des Spätwerks.