22.05.2010 - 24.10.2010
Humor, Satire – Alles erlaubt? Diese Frage steht am Beginn der Ausstellung. Sie greift ein Zitat Kurt Tucholskys aus dem Jahr 1919 auf: „Was darf die Satire? Alles.“ Die Formulierung ist legendär, doch der hohe Anspruch erfüllte sich nie. Tucholsky selbst musste es erleben: Verbittert verließ er 1930 Deutschland, 1933 verbrannten die Nationalsozialisten seine Bücher.
Die Frage nach den Freiräumen von Humor und Satire ist noch immer aktuell. Dabei zeigt sich politischer Humor als präziser Gradmesser der Freiheit. Die tiefsten Einblicke in die Freiheitlichkeit eines Gesellschaftssystems ergeben sich dort, wo der Humor endet, wo Tabus bestehen, Verbote wirken oder Sanktionen drohen. Die unterschiedlichen Möglichkeiten für Kabarett und Karikatur, politischen Karneval und Witz offenbaren den Gegensatz zwischen Demokratie und Diktatur. Sie spiegeln darüber hinaus den gesellschaftlichen Wertewandel.
Die Ausstellung veranschaulicht in elf Themenräumen das ambivalente Verhältnis von Humor und Politik seit 1945 aus der historischen Perspektive. Nach dem Zweiten Weltkrieg erleben Kabarett und Satire in Deutschland eine Renaissance. Mit dem Kalten Krieg und der deutschen Teilung wird Humor auch zum Instrument der Auseinandersetzung zwischen den Systemen. In der jungen Bundesrepublik gilt Satire bald als schick, die großen Kabarettensembles gewinnen über das Fernsehen große Popularität, auch der Karneval erreicht ein Millionenpublikum. Die Akteure achten Konventionen, respektieren sittliche wie religiöse Gefühle und vermeiden Tabubrüche. Erst seit den Studentenprotesten, die eine allgemeine Politisierung der Gesellschaft bewirken, nehmen Streitfälle zu. Unkonventionelle satirische Aktionsformen prägen fortan auch die Protestbewegungen in der Bundesrepublik.
In der DDR versucht das Regime die Satiriker auf den Kampf gegen äußere und innere „Feinde“ sowie auf eine Unterstützung des „sozialistischen Aufbaus“ zu verpflichten. Die Funktionäre trauen den Satirikern allerdings so wenig, dass sie ihnen den Zutritt zum Fernsehen weitgehend verweigern. Den Vorgaben entsprechend fällt die als „parteilich“ belobigte Satire aus: Pressekarikaturen illustrieren bis zum Überdruss die politischen Richtlinien der SED und Kabarettnummern gleichen zuweilen Parteischulungen. Doch das Volk sucht nach Ventilen für seinen Unmut. Trotz strenger Kontrollen werden Kabarettbühnen und Karikaturenausstellungen vielfach zum Medium der Kritik, besonders gegen Ende der DDR. Noch deutlicher äußern sich jetzt die Protagonisten der oppositionellen und subkulturellen Szene: In Untergrundzeitschriften veröffentlichen Amateurzeichner kritische Karikaturen, Liedermacher ziehen die Merkwürdigkeiten des „sozialistischen Lebens“ ins Lächerliche und Mail-Art-Künstler kommunizieren ihre Kritik mit hintersinnigen Postkartenmotiven. Sogar im staatlich reglementierten Karneval wagen manche Narren nun mutig kritische Andeutungen. Nur in den zahllosen politischen Witzen tritt die Wahrheit ungeschminkt zutage. Öffentlich können die Ostdeutschen erst in der friedlichen Revolution des Herbsts 1989 ihre Meinung mit „volkseigener“ Satire zum Ausdruck bringen.
Mit der deutschen Einheit treffen zwei Gesellschaften mit unterschiedlichen Mentalitäten, Normen und Werten aufeinander. Rasch entstehen „Wessi“- und „Ossi“-Witze, die zumeist die negativ empfundenen Eigenarten des jeweils anderen Bevölkerungsteils kommentieren. Wichtiger ist jedoch ein tiefgreifender Wandel, der die Deutschen gemeinsam betrifft. In den 1990er Jahren führt das Privatfernsehen seinen Siegeszug fort und erreicht mit Comedy-Sendungen viele junge Zuschauer. Heute scheint das Unterhaltungsbedürfnis in der Medienwelt unbegrenzt und die Tendenz zur Enttabuisierung unumkehrbar. Doch seit den Reaktionen auf die „Mohammed-Karikaturen“ im Jahr 2006 ist die „Spaßgesellschaft“ mit neuen Tabus konfrontiert, deren Beachtung radikale Islamisten mit Gewalt einfordern.
Mit mehr als 800 Objekten, interaktiven Installationen und zahlreichen Film- und Tondokumenten veranschaulicht „Spaß beiseite. Humor und Politik in Deutschland“ die verschiedenartigen Rahmenbedingungen und Entwicklungen sowohl im geteilten als auch im wiedervereinigten Deutschland und widmet sich aktuellen Tendenzen des Humors. Die Ausstellung zeigt Zeitgeschichte auf unterhaltsame, oft auch überraschende Weise. Sie macht Spaß und fragt zugleich, wo der Spaß aufhört: Humor, Satire – Alles erlaubt?