Die Werke von Florian Neufeldt (*1976) und Matthias Ströckel (*1986) zeugen von der Neugier und dem Verlangen des Menschen, die Dinge um sich herum durch unterschiedliche Strategien der Vermessung – sowohl räumlich als auch zeitlich – zu hinterfragen und zu verstehen. Dabei wird die Wahrnehmung selbst zur Disposition gestellt und die Konstruktion von Wirklichkeit zum zentralen Thema des jeweiligen Werks. Das im Titel der Ausstellung aufgegriffene Postulat geht auf den antiken griechischen Mathematiker Euklid zurück, der es in den Elementen – eine Systematisierung und Abhandlung mathematischer, astronomischer und musischer Phänomene, die bis heute für unser Verständnis von Mathematik, Kosmos und Musik von großer Bedeutung ist – aufstellte. Es dient hier als schwer fassbares und dennoch faszinierendes Bild, das „nur“ im Kopf funktioniert und auf das phantastische Potential mathematischer wie physikalischer Paradoxe hinweist. Einerseits erzeugt es Unverständnis, andererseits regt es zum Nach- und Weiterdenken an, indem es uns auf unsere Grenzen (der Vermessung) verweist und gleichzeitig einen (Denk-)Raum öffnet, der jenseits des Wirklichen liegt und neue Ordnungen zulässt. Hier knüpft die Doppelausstellung mit Florian Neufeldt und Matthias Ströckel an.
Florian Neufeldt vermisst den Ausstellungsraum, indem er für den Seitenlichtsaal eine neue Arbeit entwickelt, in der eine Bohrmaschine – unsichtbar – hinter einer Wand entlangfährt, diese vermisst und in unregelmäßigen Abständen durchlöchert. Da die Spitze des Bohrers allerdings immer nur so kurz auftaucht, dass sie sich meist dem Blick des Betrachters entzieht, bleiben allein das Geräusch und das Loch – ein Loch neben dem nächsten, willkürlich in die Wand gebohrt. Was wird hier vermessen und geordnet? Das Nicht-Wissen von dem „Dahinter“ irritiert, macht neugierig und erzeugt einen Vorstellungsraum hinter der sich stetig wandelnden, löchrigen Bildfläche, der durch den Bohrer mit Lärm ge je nach Assoziation – etwas Bedrohliches, Mysteriöses, Wesenhaftes verkörpert. Gleichzeitig erzeugt der Rhythmus der technischen Wiederholung eine Wiedererkennung und Vertrautheit in Bezug auf das mysteriöse „Störgeräusch“.
Matthias Ströckels konzeptuell ausgerichtete Objekte, Fotografien, Drucke und Zeichnungen kreisen um räumliche und zeitliche Vermessungsstrategien von Welt, indem sie diese auf unterschiedliche Weise verbildlichen und dabei gleichzeitig deren Sinn und Zweck in Frage stellen. Sie gewinnen ihren Reiz durch eine minimale künstlerische Setzung, bei der Ströckel die Rolle eines Künstler-Wissenschaftlers einzunehmen scheint. Dabei bedient er sich philosophischen wie kunstwissenschaftlichen Theorien und hinterfragt die Grenzen von wissenschaftlicher Genauigkeit und individueller Wahrnehmung, ohne das ästhetische Potential – die Aura – des einzelnen Objekts zu vergessen oder didaktisch zu werden. Er dokumentiert physikalische Prozesse (ohne Titel, drei Fotografien, 2012) oder führt sie als unmittelbares Erlebnis im Ausstellungsraum vor (Referenzrahmen, 2011). So thematisiert Ströckel die menschliche Wahrnehmung und das Beobachten sowie Festschreiben von Raum und Zeit, wobei kartographische Systeme (Weltenkarte, 2011), die Rhythmisierung von Zeit (Spezifische Toleranz, 2012) und unvorhersehbare Materialveränderungen innerhalb eines festgesetzten, zeitlichen Prozesses im Fokus stehen.