Die Wahrheit ist: Der Industriekapitalismus wandelt sich zum digitalen Kapitalismus. Das ändert die Lage. Der Binär-Code regiert die Welt. Der informations- und kommunikations-technische Umbruch revolutioniert Wirtschaft und Gesellschaft. Was heißt es, ein Individuum in der Informationsgesellschaft zu sein? Denn eine Informationsgesellschaft ist immer auch eine Überwachungsgesellschaft. Nicht die Information bringt die Überwachung hervor, sondern die Überwachung die Information: Sobald menschliche Äußerungen und Regungen quantifizierbar werden, werden sie aufgezeichnet, um irgendwo etwas ökonomisch, bürokratisch oder ideologisch zu optimieren. Spätestens seit Edward Snowden die breitflächige Überwachung des US-Geheimdienstes aufgedeckt hat, ist für die Post-Privacy-Denker klar: Die Privatsphäre ist tot, die NSA hat lediglich noch ihren Stempel daruntergesetzt. Leistungsfähige Computer wissen manchmal mehr über uns als wir selber. Die Speicherkapazität dieser Systeme wächst jedes Jahr kontinuierlich um das Zehnfache. Es kommt so weit, dass man nichts Verbotenes getan haben muss; es reicht, dass man jemandem irgendwann verdächtig vorkommt, selbst wenn es sich dabei um einen Irrtum handelt, und dann können sie das System nutzen, um in die Vergangenheit zurückzuschauen und jede Entscheidung zu überprüfen, die irgendwann getroffen hat, jeden Freund, mit dem man einmal etwas diskutiert hat, und sie können einen auf dieser Grundlage angreifen, um aus einem unschuldigen Leben irgendwie einen Verdacht zu konstruieren und jedermann als Täter darzustellen. In der Zukunft der modernen Kriegsführung, zumindest darin sind sich die meisten Experten einig, werden drei Buchstaben eine entscheidende Rolle spielen: NCW für Network Centric Warfare. Dahinter verbergen sich Netzwerke, die Einheiten untereinander und mit ihren Kommandeuren verbinden – und ihnen damit die Möglichkeit zur schnellen, flexiblen und asymmetrischen Kriegsführung bieten. Das Ziel ist dabei klar formuliert: Informationsüberlegenheit über den Feind. Die Bezeichnung »Big Data«, als ein Begriff aus dem Wirtschaftsjargon und mehr noch als Beschwörung eines kommenden Zusammenbruchs, ist schnell langweilig geworden. Doch die enorme Ausweitung der Bandbreite und Tiefe von Informationen über unser Verhalten, die routinemäßig erfasst werden, und die neuen Analysemöglichkeiten, die dadurch entstehen, lassen sich nicht leugnen. Einer Schätzung zufolge werden derzeit mehr als 98 Prozent der weltweiten Informationen digital gespeichert, und dieses Datenvolumen hat sich seit 2007 vervierfacht. Ein großer Teil dieser Daten wird von gewöhnlichen Menschen am Arbeitsplatz und zu Hause erzeugt, indem sie E-Mails verschicken, im Internet surfen, sich in sozialen Netzwerken bewegen, an Crowdsourcing-Projekten arbeiten und vieles mehr – und indem sie dies tun, haben sie unwissentlich dazu beigetragen, ein großartiges neues gesellschaftliches Projekt zu starten. Wir befinden uns inmitten eines großen Infrastrukturprojekts, das in gewisser Hinsicht denen der Vergangenheit – von den römischen Aquädukten bis zur Encyclopédie der Aufklärung – gleichkommt. Das digitale Spiegelbild des Gegenwartsmenschen ist in Hunderte Einzelteile zersplittert. Das Wissen im Internet ist dynamisch. Es ist flüchtig. Es ist volatil. Es ändert jeden Tag seine Gestalt. Wir wissen wenig über seine Quellen, über die dahinterstehenden Interessen und seine Glaubwürdigkeit. Die Folge ist eine zunehmende Copy-and-paste-Kultur ohne echte Aneignung des Inhalts. Informationen wollen gratis sein. Gleichzeitig wollen Informationen teuer sein. Informationen wollen gratis sein, weil es so billig geworden ist, sie zu verbreiten, zu kopieren und neu zusammenzustellen – zu billig, um messbar zu sein. Sie wollen teuer sein, weil sie für den Empfänger unermesslich wertvoll sein können. Diese Spannung wird sich nicht auflösen.