Die Kunsthalle Düsseldorf widmet dem Werk der chinesischen Künstlerin YIN Xiuzhen (*1963 in Peking, lebt und arbeitet dort), die als eine der wichtigsten Künstlerinnen Chinas gilt, in Zusammenarbeit mit dem Groninger Museum die erste große Einzelausstellung in Europa. Dabei wird ein umfassender Überblick über ihr künstlerisches Schaffen gegeben.
Die Ausstellung beginnt mit Yins frühen Installationen, die oftmals in menschenleeren, unberührten Landschaften präsentiert wurden und heute nur noch in Form fotografischer Dokumentation existieren. Den Schwerpunkt bilden allerdings die raumgreifenden Installationen sowie die monumentalen, begehbaren Textilskulpturen der letzten Jahre, die einen Wendepunkt in Yins Schaffen markieren.
Yins Arbeiten aus den 1990er Jahren wie „Washing River“ (1995) sind stark politisch motiviert, wenn die Folgen von Industrie und Technik für die Natur und den Menschen thematisiert werden: Fotografisch dokumentiert ist eine Performance von chinesischen Bürgern, die dreckiges Wasser, das zu einem rechteckigen Eisblock gefroren ist, so lange mit Schwämmen „abwaschen“, bis das Eis geschmolzen ist. Andere Fotografien wie „The Tree of Parting“ (1994) weisen aufgrund des Motivs und dessen Bildkomposition eine eigene, reduzierte Ästhetik auf, die sie als eigenständige Werke erscheinen lässt, auch wenn sie so nie gedacht waren.
Seit Ende der 1990er Jahre schafft Yin aus alten Kleidern, Schuhen, Möbeln und einfachen Baumaterialien wie Zement und Stein große skulpturale und installative Werke, häufig im öffentlichen Raum. Ab 2000 ist schließlich eine markante Wende in Yins Werk erkennbar: Secondhand-Kleider werden zur Fundgrube für ihre Ideen und folgenden Werke, die häufig um modernste Technik und urbanes Wachstum kreisen. Indem die Künstlerin Flugzeuge, Autos und Highways als Motive für ihre großen Skulpturen wählt, macht sie auf die scheinbar grenzenlose Mobilität und Schnelllebigkeit unserer globalisierten Gegenwart aufmerksam. Gleichzeitig verweisen Yins Werke durch ihren Detailreichtum und die Offenlegung der aneinander gesetzten Einzelteile, wie verschweißte und verschraubte Metallplatten oder zusammengenähte Textilstücke, auf das künstlerische Handwerk selbst, das Können, Geduld und vor allem Zeit erfordert.
Die raumgreifenden Arbeiten wie „Collective Subconscious (blue)“ (2007) oder „Engine“ (2008) stehen für diese Doppelbödigkeit ihrer Installationen: Zum einen sind es die Reizüberflutung und der schnelle Rhythmus des großstädtischen Alltags, der das kollektive Unterbewusstsein sowie das Herz, den „Motor“ des Individuums prägt; zum anderen fordern gerade diese Arbeiten den Betrachter heraus, sich Zeit zu nehmen, im Auto Platz zu nehmen und der Musik zu lauschen, die die Installation begleitet.
Damit wird der Besucher zu einem zentralen Teil der Installationen, indem er mit persönlichen Erinnerungen der Künstlerin sowie mit kollektiven Erinnerungslandschaften, die zwischen dem Bekannten, Lokalen und Globalen angesiedelt sind, konfrontiert wird. Die Kofferserie „Portable Cities“ (2000-2012) beispielsweise geht zurück auf Yins Reisen, auf denen sie alte Kleidungsstücke der Bewohner der Stadt sammelte, die sie gerade besuchte, um diese später zu einer Stadtlandschaft – orientiert an dem jeweiligen Stadtplan – in einem Koffer zusammenzuflicken. So thematisiert sie ihre eigenen Erfahrungen in einer globalisierten Welt, in der „Heimat“ neu zu denken ist; darüber hinaus rücken weitergehende Fragestellungen zur Konstruktion von Geschichte und Erinnerung sowie zum individuellen Leben im großstädtischen Alltag in den Fokus.
Trotz der poetischen Formensprache lassen sich die Arbeiten auch als kritischer Kommentar lesen, der die Sehnsüchte und Ängste des Individuums in einer globalen, auf Mobilität und Effizienz ausgerichteten Welt hinterfragt. Gerade in Asien wachsen die Städte enorm und rasant, im bevölkerungsreichsten Land der Erde spricht man von Hochgeschwindigkeitsurbanisierung, und Peking hat mittlerweile über 16 Mio. Einwohner. Nicht zuletzt verweist Yin auf Chinas bedeutende Rolle als dominierender Textilproduzent für den Weltmarkt und damit verbundene Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie, wenn sie den technischen Größenwahn und dessen Massenproduktion durch individuelle Handarbeit an riesigen Textilinstallationen ad absurdum führt. YIN Xiuzhen hatte bereits viel beachtete Auftritte, wie auf der Biennale Venedig 2007 und im Projektraum des Museum of Modern Art New York 2010.