11.11.2011 - 11.03.2012
Vor diesem Hintergrund wurden Werke von vier um 1900 geborenen Künstlern ausgewählt, die durch ihre Biographie alle auf unterschiedliche Weise mit Franken verbunden sind und zeitlebens an figürlichen Darstellungsweisen festgehalten haben. Unter dem Titel "Figur pur" sind Werke von zwei Malern und zwei Bildhauern vergleichend zusammengefasst, die alle wenigstens zeitweilig in großen Kunstmetropolen wie Frankfurt, Kassel, München, Paris oder New York gelebt haben. Sie haben dennoch teilweise genauso bewusst für ihr Schaffen über Jahrzehnte die Abgeschiedenheit von Orten wie Ascholding, Aschach oder Bischofsheim aufgesucht oder sind zumindest besuchsweise wieder nach Nürnberg zurückgekehrt, von wo sie vor dem braunen Terror fliehen mussten. Die Ausstellung möchte in der vergleichenden Gegenüberstellung je zweier Maler und Bildhauer Figuratives und Abstraktes in deren Schaffen untersuchen und zugleich das spezifisch Eigene der vier Künstler herausarbeiten. Die Bandbreite der Möglichkeiten reicht dabei von der Archaik bis hin zur Pop-Art.
Im Frühsommer 2011 war im Tiefparterre die Ausstellung: Karl Röhrig "Kleine Leute" zu sehen, die avantgardistische Bildhauerpositionen zum Menschenbild in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts fokussierte und so prominente Künstler wie Barlach, Kollwitz, Marcks, Roeder, Röhrig und andere vereinen konnte. Das fundamentale Thema in der Kunst, nämlich das Bemühen ein materielles wie ideelles Abbild des Menschen zu schaffen, wird in dieser Werkschau nun anhand vier unterschiedlicher künstlerischer Positionen der Nachkriegszeit erneut aufgegriffen und im Streben nach Reduktion weiter fortgeschrieben. Damit wird in der Kunsthalle Schweinfurt nicht nur ein Ausstellungskonzept inhaltlich weitergeführt, sondern darin spiegelt sich auch der grundsätzliche Leitgedanke des Hauses, nämlich dem interessierten Betrachter Dialoge im Sinne von Diskursen sowohl in der Schausammlung im Erdgeschoss als auch in den wechselnden Präsentationen anzubieten. Wäre es jeder Einzelne der hier vorgestellten Künstler unbestritten wert, in einer monografischen Ausstellung gezeigt zu werden, ergeben sich jedoch gerade durch diese vier Positionen unerwartete Wahlverwandtschaften und möglicherweise erst auf den zweiten Blick erstaunliche Parallelen zu entdecken.
Bernhard Graf von Bylandt-Rheydt (1905-1998) lebte seit seiner Emeritierung 1970 als Professor an die Kunsthochschule Kassel in der fränkischen Rhön, zunächst in Bad Bocklet und später in Aschach. Der Bildhauer fand sein Material bevorzugt in Kiesgruben, wo er in einer längeren Phase des Suchens und Findens mit den dort liegenden Steinen rang. Dabei entstanden archaisch anmutende Skulpturen in einer völlig eigenständigen, mit den üblichen Stilrichtungen der Kunst der Moderne im 20. Jahrhundert nur bedingt zu benennenden Sprache.
Im Krieg in Frankfurt ausgebombt, zog sich Ferdinand Lammeyer (1899-1995) in ein Bauernhaus unterhalb des Kreuzberges in der Rhön zurück. Unter seiner Leitung wandelte sich die Städelschule in Frankfurt zur Staatlichen Hochschule für Bildende Künste. Sein Weg als Maler wurde in der Frühzeit zunächst vom Expressionismus und der Begegnung mit Künstlern wie Otto Müller oder Alfred Kubin beeinflusst. Für ihn war die Darstellung des Menschen zeitlebens die höchste Aufgabe der Kunst. Sein Credo war "Die Form wird Zeichen und die Farbe Klang".
Richard Lindner (1901-1978) verbrachte seine gesamte Jugend in Nürnberg und musste als Jude über Paris 1941 in die USA emigrieren. Zeitlebens hatte er sich ausschließlich mit dem Thema Figur beschäftigt. Sein Markenzeichen sind geometrisch aufgebaute Köper in grellen Farben, die oft wie mechanische Puppen wirken. Als Künstler vereinnahmt Lindner eine singuläre Position. Er sah die menschliche Gestalt als Vehikel des symbolischen Ausdrucks angereichert mit Metaphern und literarischen sowie historischen Anspielungen.
Auch bei Heinrich Kirchner (1902-1984) stand die menschliche Gestalt im Fokus seines künstlerischen Schaffens. Der gebürtige Erlanger sah Figur auch als Verkörperung lebensanschaulicher Inhalte und avancierte zum Träger inhaltlicher vor allem christlicher Aussagen. In der Tradition der Münchener Bildhauerschule der Archaik stehend ist bei ihm die Antike immer zu spüren. Seine Professur an der Münchener Akademie für Bildende Künste von 1952-1970 ließ Oberbayern zu seiner zweiten Heimat werden, wo er in Ascholding eine legendäre, heute noch existierende Gießerei begründete.