„So viele Jahre dieses Glück genießend“ lautet die Übersetzung der Kalligraphie, die zusammen mit dem Bild eines Beos auf einem Kiefernzweig den Titel dieser Ausstellung bildet. Beide stammen wohl aus dem 17. Jahrhundert.
„Dem Aufsetzen eines mit schwarzer Tusche gefüllten, weichen oder sperrigen, nah oder in Armweite geführten Pinsels auf eigenwillige allerfeinste oder widersetzlich grobe Unterlagen aus unterschiedlichstem Material eignet eine solche Vielzahl von Möglichkeiten und Resultaten, dass man vom Abenteuer der Pinselführung sprechen muss. Geht dem Schreiben oder Malen ein selbst ‚professionell‘ zu nennender Arbeitsgang voraus – das Reiben der Tusche bis zu der gewünschten Dichte, so muss wegen der Gefährlichkeit des Tuns notwendig eine Konzentration auf alle Elemente der ‚Beteiligung‘ folgen. Sie umfasst Körper-, Arm- und Handhaltungen, sie aktualisiert Blickformen und kontrolliert schließlich jene relativ kurzen Strichbewegungen, aus denen sich das fernöstliche Pinselzeichen zusammenfügt. Es muss nicht weniger als fünf deutlich unterschiedenen Schrifttypen genügen. Dabei entwickelt sich ein Widerspruch – um nicht von Dialektik zu sprechen – zwischen dem Zeichen-Vorrat und der Zeichen-Führung. Seit der Entstehung der Pinsel-Kalligraphie um die Zeitenwende wirken die Grundlagen der Erfindung – Ansporn durch die Fährten-Spuren von Wild und Vögeln, genuine Bildlichkeit der Grapheme u. a. – als Momente weiter, die den jeweiligen Vollzug seiner ‚Individualisierung‘ annähern.“ So schreibt der emeritierte Germanistik-Professor, Literaturwissenschaftler und passionierte Sammler ostasiatischer Malerei und Kalligraphie Walter Gebhard in der Einführung des die Ausstellung im Kunstmuseum Bayreuth begleitenden Kataloges.
Tuschmalerei und Kalligraphie sind verwandte Künste. Während die chinesische Kalligraphie sich schon in den ersten Jahrhunderten nach Christus zu einer Klassik entwickelt hatte und seitdem als die ‚erste‘ der Künste gilt, wurde die Farben gegenüber zurückhaltende Tuschemalerei erst um 1000 in der Song-Dynastie und unter dem Einfluss des Zen-Buddhismus zu einer führenden Kunst. Für Japan gewann diese ihrerseits den Stellenwert einer nachzuahmenden Klassik. So hat im 14. Jahrhundert der Ashikaga-Shogun die Sammlung chinesischer Bilder veranlasst, und nach seiner China-Reise brachte Sesshû Tôyô im 15. Jahrhundert die Ideale des chinesischen Stils nach Japan. Dazu gehört auch die Gestaltung von nahezu leeren Räumen, besonders aber das freie Spiel mit einem Pinsel, der nicht mehr Umrisse zeichnet, sondern lavieren, ja spritzen darf – oder sogar von malenden Fingern ersetzt wird. So ist manchmal in der ostasiatischen Kunst kaum auszumachen, ob eine schwungvolle graphische Pinsellinie eher Zeichen oder eher Zeichnung darstellt.
Mit der vorsichtigen Öffnung Japans dem Westen gegenüber entstand auch ein kultureller reger Austausch, der sich zum Beispiel auf den japanischen Holzschnitt auswirkte, der wiederum die Impressionisten oder auch Paul Gauguin stark beeinflussten.